Das Gesellschaftshaus am Ernstplatz (Beitrag vom 14.11.2009)

#1 von Christian , 13.11.2009 09:10

In der Mitte des 19. Jahrhunderts als die Vestestadt Veranstaltungsort zahlreicher bedeutender Feste wurde, wuchs in der Coburger Bevölkerung der Wunsch – den damaligen Verhältnissen entsprechend – einen festen Ort für Veranstaltungen jeglicher Art zu schaffen. So begannen die Coburger bereits 1865 damit, die finanziellen Mittel für ein solches Projekt zu sammeln, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis eine Kapitalsumme von 150.000 Goldmark (in etwa 1.366.500 Euro) erreicht wurde. Daraufhin gründeten die Befürworter eines Veranstaltungsgebäudes einen Aktienverein, dessen Ziel es war, ein Gesellschaftshaus in Coburg zu errichten und zu betreiben. Aufgrund seiner guten finanziellen Ausstattung war der Aktienverein auch in der Lage, im Jahre 1872 vom Baumeister Hermann Kühn ein Baugrundstück am Ernstplatz zu erwerben und dort den Bau eines solchen Gebäudes zu planen. Das herzogliche Staatsministerium genehmigte das Vorhaben, und so konnte schon bald darauf mit den Bauarbeiten begonnen werden, welche bereits im Sommer 1873 unter der Leitung des Architekten Georg Rothbart abgeschlossen waren. Der Aktienverein – umgewandelt in die Gesellschaft „Verein“ – betrieb schließlich das Gesellschaftshaus, verpachtete die im Erdgeschoss befindliche Gaststätte oder vermietete seine Räume an die Sektion des Coburger Alpenvereins sowie an den Coburger Sängerkranz, welcher ein breit gefächertes Programm mit Konzerten, Gesangsabenden und Bällen anbot. Für ein solches konnte sogar 1914 der Komponist Max Reger gewonnen werden. Für derartige Veranstaltungen standen im 1. Obergeschoss zwei unterschiedlich große Säle zur Verfügung. Der größere von beiden besaß eine eigene Bühne und konnte ca. 450 Personen aufnehmen.

Dieser Saal sah große Veranstaltungen, wie 1901 die Hauptversammlung des deutschen Verbandes kaufmännischer Vereine, 1904 den Kongress des Deutschen Schachbundes oder die alljährlichen Vollversammlungen der Industrie- und Handelskammer. Höchstwahrscheinlich hätte diese Einrichtung ein langes Leben vor sich gehabt, hätte nicht die Gesellschaft „Verein“ im Jahre 1934 das Gebäude an die im Oktober 1933 gegründete „Adolf-Hitler-Haus-Genossenschaft“ für 60.000 Reichsmark verkaufen müssen. Dieser „gemeinnützige“ Verein hatte das Ziel, ähnlich dem Braunen Haus in München, in Coburg eine Parteizentrale für die örtliche NSDAP zu errichten. Die Nationalsozialisten sahen in dem Gesellschaftshaus das ideale Gebäude für ihr Projekt und zwangen dem „Verein“ zum Verkauf. So wurde aus dem Gesellschaftshaus ab Oktober 1934 das Adolf-Hitler-Haus, und in dessen großem Saal fanden nur noch parteipolitische Veranstaltungen statt – als letzte im März 1945 die Vereidigung von Hitler-Jungen auf den „Führer“. Einen Monat später brannte das Gebäude durch einen Luftangriff der Amerikaner vollständig aus, so dass nur noch die Außenmauern stehen blieben. Der „Verein“ erhielt nach seiner Wiederbegründung 1947 die Kriegsruine zurück, doch waren die finanziellen Mittel nach zwei Weltkriegen und mehreren Währungsreformen aufgebraucht, so dass der Gesellschaft nichts anderes übrig blieb, als das Haus zu verkaufen, was dann auch 1950 geschah. Der endgültige Abbruch erfolgte schließlich 1955, da an dieser Stelle die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) ein Verwaltungsgebäude errichten wollte. Damit war ein großer Veranstaltungsort in Coburg für immer verschwunden.


Dieser Beitrag ist Teil des Aufsatzes von Christian Boseckert: "Hallen, ein beinahe ständiges Thema in Coburg", welcher in den Coburger Geschichtsblättern 3-4 im Jahre 2007 erschienen ist. Interessenten können ihn unter der Adresse:

Historische Gesellschaft Coburg e.V.
Postfach 1820
96408 Coburg

bestellen.


Bildnachweis:
Bild 1: Das Gesellschaftshaus um die Jahrhundertwende (Sammlung Patrick Aigner)


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RE: Das Gesellschaftshaus am Ernstplatz (Beitrag vom 14.11.2009)

#2 von gerd , 13.11.2009 14:45

Christian,mir sind bis dato nur Aufnahmen von der Ansicht des Gebäudes bekannt.Ich könnte mir vorstellen,das doch sicher auch Aufnahmen vom Inneren des Hauses existieren.Sind Dir schon welche untergekommen?
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RE: Das Gesellschaftshaus am Ernstplatz (Beitrag vom 14.11.2009)

#3 von gerd , 13.11.2009 14:56

Ich kann mich erinnern,das wir auf der Treppe dort an dem Haus gespielt haben.Die Fenster waren mit Brettern vernagelt und es gingen immer so sonderbare Leute in das Haus,vor denen wir als Kinder immer Angst hatten!Im Hof hinter dem Haus muss ein schöner Biergarten gewesen sein. Und etwa dort,wo die Soldaten gehen,war später eine kleine Verkehrsinsel mit einer Straßenlampe.Dort konnte man nach 18.00 Uhr mit dem Roller oder Rollschuhen auf der Straße noch seine Runden drehen.......Heute unvollstellbar....und eines Morgens war da alles von dem Haus weg und eine rießige Baugrube tat sich auf.Schnell ist dann der repräsentative ,moderne Neubau der AOK entstanden,die zuvor in der Löwenstraße untergebracht war.Dort befindet sich heute die VHS.


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RE: Das Gesellschaftshaus am Ernstplatz (Beitrag vom 14.11.2009)

#4 von Christian , 13.11.2009 16:56

Gerd, ich kenne drei Innenaufnahmen und eine Aufnahme des Biergartens.

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RE: Das Gesellschaftshaus am Ernstplatz (Beitrag vom 14.11.2009)

#5 von gerd , 14.11.2009 13:15

Christian,in dem Haus muß im Kellergeschoß(?) eine Trinkstube gewesen sein.Ich meine den Namen "Schwedenschenke" gehört zu haben!?Als nämlich das Haus unmittelbar nach dem Zusammenbruch 1945 mehr oder weniger leer stand,hatte sich so mancher dort bedient.Was nicht Niet und Nagelfest war wurde geplündert!(Nachweislich)So ist eine Eckbank,2 Stühle und ein Tisch,die früher u.A. in dieser Schenke standen in eine Gartenhütte unweit der Veste verbracht worden und stehen meines Wissens heute noch dort drinnen!Auch wurde mir berichtet das im A.H. Haus ein Schutzraum ausgebaut war.(wahrscheinlich wie in vielen Häusern gegen Fliegerangriffe).Die Türe für den Schutzraum wurde ebenfalls zu besagter Gartenhütte gebracht und dient bis heute als Türe für einen Keller unter der Hütte.(Das Türblatt besteht aus starken verleimten Brettern und soll ursprünglich auf der Aussenseite mit Blech beschlagen gewesen sein.)
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