Vor mehr als 100 Jahren lebte zeitweilig in Coburg, Ketschendorf und im ehemaligen Benediktinerkloster Banz bei Lichtenfels das kinderlose, aber vermögende Ehepaar Deyßing. Als die Eheleute hochbetagt waren, errichteten diese im Jahre 1898 eine Stiftung mit dem Namen „Deyßing-Stiftung“. Nach Auszahlung von Erbteilen und Legaten verblieb ein Kapital von 145.000 Goldmark, dessen Zinserträgnisse zur Hälfte für die Unterstützung notleidender Armer der Stadt Coburg, besonders für Hausmiete und zur Anschaffung von Heizmaterial verwendet werden sollte. Die andere Hälfte bestimmten die Stifter zur beruflichen Förderung junger Auszubildender im Handwerk. Nach heutiger Rechnung hatte das ursprüngliche Stiftungskapital einen Betrag von ungefähr 1.500.000 Euro ausgemacht. In Wirklichkeit ist es aber durch Inflation und Währungsreform so zusammengeschmolzen, dass es mit anderen Stiftungen zusammengelegt werden musste, um einen halbwegs handgreiflichen Zinsertrag zu erzielen. Damals um 1900 sah man eine Stiftung wie die „Deyßing-Stiftung“ als unvergängliches Denkmal an. Heute ist der Stifter so gut wie vergessen, nur der Name des Wohltäters auf einer der Ehrentafeln im Coburger Rathaus erinnert an ihn. Bis 1984 hat das auch die bescheidene Deyßingstraße in der Nähe des Bauhofes, zwischen der Uferstraße und der Bamberger Straße, getan. Die beiden Häuser dort gehören aber jetzt zur Uferstraße. Dafür wurde in einem Neubauviertel des Stadtteils Scheuerfeld, zwischen dem Steinmitzig und der Dr.-Otto-Straße, eine Straße nach dem Stifter Deyßing benannt. Da Heinrich Emil Deyßing in der Öffentlichkeit eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat, dürfen einige Anhaltspunkte auf seine Persönlichkeit und sein Wirken lesenswert sein. Er wurde am 8. Februar 1818 in Sonnefeld als Sohn des Kaufmanns Christian Deyßing geboren, war der Enkel eines Pfarrers und eines Forstbeamten. Der Vater und die beiden Großväter prägten frühzeitig seinen Charakter, den kluges Rechnen, Naturliebe und das Bestreben, armen Mitmenschen zu helfen, auszeichnete. Nach dem Besuch des Gymnasiums Casimirianum in Coburg studierte er Rechtswissenschaften. Seine juristische Laufbahn führte ihn von verschiedenen Ämtern des Herzogtums Coburg, wie Neustadt, Rodach, Sonnefeld und Königsberg schließlich in die Residenzstadt. Nach seinem Ausscheiden aus dem richterlichen Dienst im Jahre 1879 widmete sich Deyßing dem Gemeinwohl als Magistratsrat der Stadt Coburg, als Vorstandsmitglied der Kreditkasse des Spar- und Hülfevereins (die heutige Hypo-Vereinsbank) und als eifriges Mitglied des Tier- und Pflanzenschutzvereins, den er auch mitbegründete. Im Jahre 1869 erwarb er in Ketschendorf das Bachstedt´sche Gut und baute das Haus Nr. 36. Diesen Grundbesitz hat er nach einigen Jahren wieder verkauft. Mit viel Liebe und Sachverstand für Landschaftsgestaltung legte er ab 1870 die „Ketschendorfer Schlucht“ an, die einst Büttelloch hieß und die später unter dem Namen „Deyßing-Schlucht“ bekannt wurde. Ein Gehsteig zwischen Strauchwerk und hohen Bäumen führte in die Höhe. Künstliche Säulen säumten das mit Treppenstufen versehene Weglein. Der Springbrunnen, dessen Wasser meterhoch sprang, war eine besondere Sehenswürdigkeit. Ein kleiner Teich lag am Anfang der Schlucht. In den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts war diese im Besitz des Inspektors Ehrlicher. Im Jahre 1945 wurde die Schlucht zugeschüttet. Die Veranlassung dazu soll die amerikanische Besatzungsmacht gegeben haben. Ihren früheren Verlauf kennzeichnet jetzt ungefähr die Buchbergstraße, die nächst der Von-Mayer-Straße nach oben zum Neubauviertel des Pelzhügels abzweigt. Doch zurück zu Heinrich Emil Deyßing. Er wohnte ab 1880 alljährlich mit seiner Ehefrau einige Sommermonate im Kloster Banz. Dort verschönte er die nähere Umgebung, besonders den in er Nähe liegenden Wald, durch Anlage von Ruheplätzen mit Bänken, die den Spaziergänger zur beschaulichen Rast einluden. Leider sind seine Schöpfungen, darunter die von ihm erbaute Deyßing-Hütte, mit der Zeit längst verfallen. In seinem erfüllten Leben war es dem ruhelosen Deyßing vergönnt, mit offener Hand Wohltaten auszustreuen. Er hatte dabei die Freude, beglückte Menschen um sich zu sehen. Sein Wirken in der Natur kam ebenfalls seinen Mitbürgern zugute. Er starb wenige Tage vor Vollendung seines 83. Lebensjahres in Coburg am 15. Januar 1901. Sein ehemaliges Wohnhaus in der Mohrenstraße 1 wurde zwei Jahre nach seinem Tode abgerissen. An dieser Stelle erhebt sich heute ein Jugendstilgebäude des Baumeisters Max Roth. Der Name Deyßing lebt daher nur noch in einem Straßennamen und einer Gedenktafel weiter.
Bild 1: Heinrich Emil Deyßing (Fotosammlung Stadtarchiv Coburg)
Bild 2: Deyßings Wohnhaus in der Mohrenstraße (Foto: Christian Boseckert)
Bild 3: Die Deyßing-Schlucht in Ketschendorf (Fotosammlung Christian Boseckert)