Kein anderes Fest ist mit der deutschen Turnerbewegung so verbunden, wie das erste Deutsche Turn- und Jugendfest, das zwischen dem 16. und dem 19. Juni 1860 in Coburg stattfand.
Ihren Ursprung hatte die Turnidee im Wirken des Pädagogen Friedrich Ludwig Jahn, der bereits 1811 in der Hasenheide bei Berlin einen Turnplatz errichtete. Seine Ziele nach Einführung demokratischer Strukturen und der Einigung des in Kleinstaaten zersplitterten Deutschlands mochten die deutschen Fürsten nach dem Wiener Kongress von 1815 nicht folgen. In engem Bezug zu den Turnern stand auch die Bewegung der Burschenschaften, da auch sie die gleichen politischen Ziele verfolgten. Durch die Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue durch den Turner und Burschenschafter Karl Ludwig Sand im Jahre 1819 wurden alle Turnveranstaltungen in Preußen und anderen deutschen Staaten verboten. Jahn selbst musste für fünf Jahre ins Gefängnis. Trotz der Turnsperre wurde an vielen Orten im Verborgenen weiter geturnt. Im Laufe der Jahre lockerte die Obrigkeit das Turnverbot, um es schließlich in Preußen 1842 ganz aufzuheben. Turnen galt nun als „notwendiger Bestandteil der Erziehung männlichen Jugend.“ In der Folgezeit lebte auch das Vereinsturnen wieder auf, doch eine Dachorganisation, wo alle deutschen Turnvereine sich versammeln konnten, existierte nicht.
Dies wollten die beiden bedeutenden süddeutschen Turner Theodor Georgii und Carl Kallenberg ändern. Sie riefen im Herbst 1859 zu einer gemeinsamen Tagung auf und schlugen als Veranstaltungsort das zentral gelegene Coburg vor. Ferner hofften die beiden Protagonisten, dass sich der damalige Landesherr, Herzog Ernst II von Sachsen-Coburg und Gotha, infolge seiner liberalen Gesinnung sein Staatsgebiet nicht den Turnern verschließen würde. Die Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Am 21. März 1860 erteilte die herzogliche Regierung die Genehmigung für diese Veranstaltung. Finanzielle Zusagen, wie von den Veranstaltern gewünscht, wurden jedoch abgelehnt. Am 29. April 1860 trafen sich schließlich Georgii, Kallenberg und andere Turnfunktionäre mit den Mitgliedern des Turnvereins von 1848 Coburg, um die Feierlichkeiten zu besprechen. Am Schluss der Beratungen rief man zu einem Turn- und Jugendfest auf. Dieses sollte zwischen dem 16. Juni und dem 19. Juni 1860 stattfinden. Der Zeitraum wurde bewusst gewählt, da er mit dem Gedenktag der Schlacht bei Waterloo, wo Napoleon I vernichtend geschlagen wurde, einher ging. Diese patriotischen Emotionen müssen aus der Zeit heraus verstanden werden. Man hatte Sehnsucht nach einem deutschen Einheitsgefühl.
Als das Fest im Juni begann, war die Stadt festlich geschmückt. Der Herzog stellte die Reithalle und das Hoftheater für Veranstaltungen zur Verfügung und die Stadt half bei der Organisation des Festes und schaffte eine Vielzahl von Turngeräten an. Als Turn- und Vorführplatz diente der Ketschenanger. Insgesamt 1200 Teilnehmer kamen aus allen Teilen der deutschen Länder nach Coburg, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Diese begannen mit einer Versammlung auf der Veste, welche mit einem Feuerwerk feierlich abgerundet wurde. Am nächsten Tag folgte die offizielle Begrüßung der Stadt durch den damaligen 1. Bürgermeister Leopold Oberländer.
Am 17. Juni, um neun Uhr morgens begann der Turntag in der Reithalle. Ziel war es einen gesamtdeutschen Turnerbund zu gründen. Aber nach lebhaften Debatten setzte sich der spätere langjährige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Turnerschaft, Ferdinand Goetz, mit dem Beschluss durch, vorerst keine gesamtdeutsche Organisation zu gründen, da dies wegen der in vielen deutschen Ländern bestehenden Vereinsgesetze nicht zu verwirklichen war. Goetz und seine Anhänger wollten lediglich das erreichen, was realistisch erschien: Eine positive Entwicklung des deutschen Turnwesens, unabhängig von allen parteipolitischen Bestrebungen. Erst 1868 gründete sich nach jahrelanger Vorbereitung eine Deutsche Turnerschaft unter der Führung von Goetz und Georgii
Der Nachmittag dieses Tages war geprägt von einem Festzug, in dem auch schwarz-rot-goldene Fahnen mitgeführt wurden und von Wett- und Schauturnvorführungen, die unter großem Applaus der Coburger Bevölkerung stattfanden. Am 18. Juni fanden Freiübungen und Turnspiele statt. Abends folgte dann ein Kommers in der Reithalle.
Am letzten Veranstaltungstag wanderten die Turner nach Schloss Callenberg, wobei diese dem Dichter Friedrich Rückert in Neuses einen Besuch abstatteten. Bei der Rückkehr nach Coburg teilten sich die jüngeren Turner in zwei Gruppen zu einem Kriegsspiel. Den Schluss der Festtage bildete am Abend in Gegenwart des Herzogs, ein großer Ball im Hoftheater. Ernst II war nur am letzten Tag des Turn- und Jugendfestes in Coburg zugegen, da zuvor auf dem deutschen Fürstentag zu Baden-Baden weilte.
Dieses Ereignis nicht mehr erlebt, hatte Friedrich Ludwig Jahn, der Turnvater. Er war bereits 1852 in Freyburg an der Unstrut gestorben. Die Turner erinnerten in Coburg dennoch an sein Wirken. Ohne ihn wäre die Entwicklung des Turnens und schlussendlich auch des Sports in Deutschland ganz anders verlaufen.
(Dieser Aufsatz stammt aus der neuen Ausgabe der Zeitschrift "Coburger Geschichtsblätter", die bald veröffentlicht werden.)
Bildquellen:
Bild 1: Turner aus ganz Deutschland grüßen die Veste Coburg
Bild 2: Einzug der Turner in den Burghof der Veste
Bild 3: Turnübungen auf dem Ketschenanger
(alle drei Bilder: Sammlung Christian Boseckert)