Die Geschichte des Fachwerkhauses Judengasse 12 (Beitrag vom 24.07.2009)

#1 von Christian , 24.07.2009 08:31

Die Judengasse ist eine vertraute Coburger Straße mit alten, schönen Häusern. Dabei unterscheidet sich die Bauweise in zwei Bereiche. Wie noch deutlich sehen ist, stehen bis zum Judentor die großen, mehrstöckigen Bürgerhäuser, während außerhalb der Stadtmauern in der Vorstadt, die meist zweistöckige Bebauung der nicht so reichen Coburger Bürger, vorherrscht. Obwohl viele Gebäude ein hohes Alter vorweisen können, findet sich in dieser langen Straße nur ein freigelegtes Fachwerkhaus. Es steht direkt am Judentor und trägt die Adresse Judengasse 12. Sofort fällt neben der wunderschön, im Jahre 1995 restaurierten Fassade ein zweistöckiger Fachwerkerker auf, den man sonst nur noch an einem Gebäude in der Steingasse findet. Welche Geschichte hat dieses mittelalterlich aussehende Haus, das einst an der Coburger Stadtmauer stand? Nun, die erste Erwähnung des Gebäudes findet sich bei dem Häuserforscher Ernst Cyriaci im Jahre 1454. Das Fachwerk ist allerdings jüngeren Datums. Durch Untersuchungen der Holzkonstruktion konnte festgestellt werden, dass dieser Fachwerkbau Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden ist. Das steinerne Erdgeschoss ist allerdings älter. Davon zeugt das spätmittelalterliche Eingangsportal das bis zum heutigen Tage unverändert erhalten geblieben ist. Nur die alte Türe wurde Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts entfernt. Die beiden anderen Fenster zum Ladengeschäft stammen aus dem Jahr 1874. Doch noch mal zurück zum Fachwerk.

Erst im Jahre 1950 wurde dieses Meisterwerk der Zimmermannskunst bei einer Renovierung entdeckt. Unter der Leitung des renommierten Architekten Albert Freiberg wurde das Fachwerk schließlich freigelegt, nachdem es viele Jahre unter einer Putzschicht verschwunden war. Aus dieser Zeit haben sich die überdimensionierten Fenster der beiden oberen Stockwerke erhalten, die für Fachwerkhäuser viel zu groß sind. Ursprünglich entsprach die Fensterhöhe so, wie sie bei der Hahnmühle noch zu ersehen ist. Über 100 Jahre war das Haus im Besitz der Familien Roschlau / Schuster. Im Jahre 1758 kaufte Johann Heinrich Roschlau, seines Zeichens Mehlhändler, das Anwesen am Judentor. Als er 1773 starb, erbte seine Tochter Katherina Margaretha Johanna das Gebäude. Sie heiratete den Schreinermeister Johann Georg Schuster, der dort schließlich eine Schreinerei und Möbelwerkstatt eröffnete. Ihm folgte 1826 sein Sohn Alexander Philipp Friedrich Schuster, der nach den Adressbüchern bis 1875 das Unternehmen fortführte. Das Haus blieb danach auch weiterhin im Familienbesitz. Erst 1887 verkaufte Bernhard Schuster das Anwesen an den Kunstgärtner Anton Amberg, der im Jahre 1890 mit seinem Blumengeschäft in die Judengasse 12 einzog. Ab 1907 finden wir dort das Blumengeschäft Friedrich Hegendörfer, welches später dann in die Judengasse 11 umzog und dort bis zum Brand des Hauses im Jahre 1987 existierte.

In diesem Zusammenhang sei auf einen besonderen Hausbesitzer hingewiesen, nämlich Ernst Inbescheid. Dieser wurde 1875 in Coburg geboren und war ein bedeutender Volksschullehrer. Nach dem Besuch der Bürgerschule und des Ernst-Albert-Lehrerseminars kam er als Schulamtskandidat (sprich heute Referendar) an die Schule nach Grub am Forst, wo er im Schuljahr 1895/96 erste Erfahrung sammeln konnte. Von 1897 bis 1901 war er dann Festangestellter Lehrer an der Schule in Unterlauter. 1901 wechselte Inbescheid nach Coburg in die Lutherschule, wo er dort bis 1923 als Hauptlehrer wirkte. In diesem Jahr wurde er zum Schulleiter der Knabenabteilung der Lutherschule befördert. Dieses Amt sollte er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1939 behalten. Inbescheid ist es zu verdanken, dass er den Film für Unterrichtszwecke entdeckte. Er war der erste der das Lichtbild und den Schmalfilm in eine Coburger Schule eingeführt hatte. Somit war Ernst Inbescheid der Gründer der Coburger Schulbildstelle, die bis in die Gegenwart existiert. Er war auch deren erster Leiter. Seit 1919 findet man seinen Namen im Adressbuch als Besitzer das Hauses Judengasse 12. Doch er hat schon vorher darin gewohnt. 1944 starb Ernst Inbescheid im Alter von 69 Jahren. Sein Haus übernahm eine Erbengemeinschaft, bestehend aus seiner Frau und seinen Kindern. 1950 zahlte der Sohn, Walter Inbescheid die anderen Erben aus und wurde Alleineigentümer. Auch ihm ist es zu verdanken, das im Jahre 1950 diese Fachwerkfassade freigelegt wurde.

In dem Ladengeschäft wechselten zu jener Zeit häufig die Pächter. 1934 eröffnete Lina Kehl dort ein Damenputzgeschäft, welches später von ihrer Tochter Helene Kehl weitergeführt wurde. Es folgten das Fußpflegestudio Heidi Meinert und die Bäckerei Frank Weber. Heute ist in dem Haus ein Nudelrestaurant untergebracht, das typischerweise „Die Nudel“ heißt. An der Seite zur Mauer hin, hat der Restaurantbetreiber eine kleine Terrasse angelegt, wo man im Sommer verschiedene Nudelgerichte genießen kann. Ob der Wirt weiß, dass dem Haus einst die Braugerechtigkeit verliehen wurde? Das Gebäude Judengasse 12 ist aus heuiger Sicht gesehen, ein wichtiges Baudenkmal und ist mit seiner Fassade ein schöner Kontrastpunkt, der so facettenreichen Coburger Innenstadt.

Bilder:
Ansichten vom Hause Judengasse Nr. 12 aus dem Jahre 2007 (alle Fotos: Christian Boseckert)

Angefügte Bilder:
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RE: Die Geschichte des Fachwerkhauses Judengasse 12 (Beitrag vom 24.07.2009)

#2 von Patrick , 24.07.2009 08:37


Klasse Bericht, Christian. Vielen Dank!


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