Besucht man den westlichen Teil des Coburger Hauptfriedhofs findet sich auf dem Weg zum herzoglichen Mausoleum eine stattliche Anzahl von großen Grabstätten und Gedenksteinen. Hier sind vor allem verdienstvolle Bürger der Vestestadt beerdigt worden. Einer von ihnen, Emil Rädlein, hat viele Jahre in zwei bedeutenden Coburger Vereinen eine maßgebende Rolle gespielt.
Beide Vereine, der Thüringerwald-Verein und die Coburger Turngenossenschaft haben zusammen über 1000 Mitglieder. Aber wer von diesen und den heutigen Coburgern kann Genaueres über Emil Rädlein wissen, der schon vor fast hundert Jahren seine letzte Wanderung angetreten hat. Wer war also Emil Rädlein?
Er wurde am 5. Januar 1855 als Sohn eines Schneidermeisters in Coburg, im Hause Steingasse Nr. 14 (heute Musikhaus Kiederle) geboren. Seine unbeschwerte Jugendzeit rings um die Moritzkirche beschrieb er in einem seiner vielen Aufsätze. Nach dem Besuch der Bürgerknabenschule, die seinerzeit noch in der alten Ratsschule, ganz in der Nähe seines Wohnhauses, ansässig war, bereitete er sich im Coburger Ernst-Albert-Lehrerseminar auf seinen künftigen Beruf vor. Nach seiner Ausbildung war er ein Jahr in Greiz / Thüringen tätig. Doch bereits im Jahre 1874 kehrte nach Coburg zurück, wo er fast fünf Jahrzehnte als Lehrer wirkte. Schon als junger Pädagoge verschrieb er sich dem Turnsport und wurde schon 1874 Mitglied der Coburger Turngenossenschaft. Das Amt eines 1. und 2. Turnwarts bekleidete er 24 Jahre von 1877 bis 1901. Im Jahre 1883 bestand er das Turnlehrerexamen in Berlin. Von 1909 bis 1919 übernahm er die Leitung der Turngenossenschaft, deren erfahrener Turnfahrtenführer er fast 48 Jahre war. Die turnerischen Leistungen der Turngenossenschaft, der heutigen Coburger Turnerschaft, sind seinem Fleiß, seinem Können und seiner Schaffenskraft zu verdanken. Emil Rädlein war der Schöpfer zahlreicher Turnerreigen, ein Gebiet des Turnsports, das besonders bei Schauturnen um 1900 gepflegt wurde.
Das Lied „Wohlauf die Luft“ (besser bekannt als das Frankenlied) gestaltete Rädlein durch turnerische Schrittfiguren zu einem „Scheffelreigen“. Der Dichter Viktor von Scheffel begrüßte die Bearbeitung des Liedes und dankte mit seinem Bildnis und einem Vierzeiler. Die Turngenossenschaft ehrte ihren „Rad“, wie er im Volksmund genannt wurde, durch die Ernennung zum Ehrenmitglied, Ehrenturnwart und Ehrensprechwart. Auch die Stadt Coburg zeigte ihre Anerkennung. Sie übertrug Rädlein im Jahre 1915 die Leitung des städtischen Schulturnes.
In den letzten Jahren seines Lebens wandte sich Emil Rädlein zunehmend dem Wandern zu. Dazu trug wesentlich die Gründung des Thüringerwald-Vereins im Jahre 1907 bei, zu dessen 1. Vorsitzenden er sofort gewählt wurde. Er selbst bezeichnete sich gerne als „Coburger Wandersmann“. Mit seinen Turngenossen und den Freunden vom Thüringerwald-Verein erwanderte er nicht nur die engere Coburger Heimat, sondern auch Südthüringen, den Frankenwald, den Fränkischen Jura und die Hassberge. In seinem zweibändigen Wanderbuch „Im Umkreis der fränkischen Krone“ hat er einen Teil seiner Wanderungen in fesselnder Weise beschrieben. Darin liest man nicht nur den genauen Verlauf der Wanderungen, sondern erfährt etwas über Natur und Heimat, sowie über Kunstdenkmäler kennen. Gleichzeitig gewinnt man ein gewisses Verständnis für Volkskunst und Volkstum. Diese Kenntnisse vermittelte er seinen Wanderkollegen auch wenn sie unterwegs waren. In seinen Beschreibungen sind oft auch Dichterworte eingestreut, die die jeweiligen Stimmungen wiedergeben.
Auch hatte Emil Rädlein immer bei seinen Wanderungen ein Skizzenbuch dabei. Er konnte sehen und das Geschehene zeichnen: Hier einen Torturm, dort eine alte Mühle, oder eine schöne Kirche. Viele Motive, die er und seine Tochter Änni (eine heute noch bekannte Coburger Kunstmalerin) geschaut haben, findet man in seinem Wanderbuch. Erstaunlich aus heutiger Sicht ist der Umfang der Rädlein´schen Wanderungen. Sie umfassten zwischen 30 und 50 km. Dabei ging es oft schon früh um 4 Uhr los. Man wanderte um 1900 auf autofreien und nicht geteerten Straßen und kam schnell vorwärts. Klampfen und Gitarren beflügelten dabei mit flotten Wanderweisen die Schritte. Aber nicht nur seinen Wandergefährten war Emil Rädlein ein vorbildlicher Führer, er war auch jederzeit bereit, den Touristen seiner Heimatstadt die Umgebung in Wort und Schrift sowie mit Rat und Tat zu zeigen und zu beschreiben.
Am 8. Februar 1925 starb Emil Rädlein im Alter von 70 Jahren. Er wohnte zuletzt in einer Villa in der Unteren Klinge in Coburg. Ihm zu Ehren errichteten seine Wanderfreunde am Muppberg in Neustadt bei Coburg einen Gedenkstein, den sogenannten Rädleinstein. Darüber hinaus ehrt der Thüringerwald-Verein ihren langjährigen 1. Vorsitzenden jährlich im Mai mit einer Emil-Rädlein-Gedächtnis-Wanderung. Der Gedenkstein auf dem Coburger Friedhof stifteten sowohl der Thüringerwald-Verein, als auch die Turngenossenschaft als bleibende Erinnerung an einer der bedeutendsten Coburger Persönlichkeiten.