Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum

#1 von 2fast4u , 16.10.2012 14:28

Vorab:
Nachfolgende Texte habe ich aus dem Geheft "Das Ende des Zweiten Weltkrieges im Rodacher Winkel des Landkreises Coburg" entnommen. Verfasst wurde es von Dr. Albin Schubert mit dem Gedanken "die Kriegsereignisse um den 10. April 1945 im Rodacher Raum nach 25 Jahren der Vergessenheit zu entreisen, dem Heimatgedanken zu dienen und einer heranwachsenden Generation das Bewußtsein an eine geschichtsträchtige Zeit nahezubringen."

Da ich weder eine ISBN-Nummer, noch ein Copyright-Zeichen oder ähnliche Anhaltspunkte entdecken kann und ich der Meinung bin, dass der oben zitierte Wunsch des Verfassers hier entsprochen wird, erlaube ich mir, mit Verweis auf dieses Geheft, daraus zu zitieren. Ich glaube auch nicht, dass es dieses Geheft jemals zu Kaufen gab - es handelt sich eher um eine privat erstellte Zusammenfassung der Ereignisse im Rodacher Raum. Es befindet sich lediglich in meinem Besitz, da mein Großvater seinerzeit Bürgermeister von Ahlstadt war und mir deshalb dies von Dr. Albin Schubert persönlich signiertes Exemplar vorliegt bzw. meinem Großvater vorlag. Sollte es dennoch Einwände geben (Christian?), dann wäre ich selbstverständlich bereit, den Text wieder zu entfernen - wäre aber wirklich schade, da es dieses Geheft nirgends zu kaufen gibt und es somit umsonst in Vergessenheit geraten würde. Ich glaube nicht, dass hier irgendwelche Rechte verletzt werden.

Erscheinungsjahr war übrigends 1970

Weil es in einem anderen Thread bereits erwähnt wurde, beginne ich mit dem Ort Lempertshausen, nordwestlich von Rodach gelegen.

Zitat
Lempertshausen:
Der Bürgermeister Hermann Morgenroth autorisiert zu folgenden Bericht:
Das Völkerringen nähert sich seinem Ende. Der Feind ist bereits in Hildburghausen am 7. April eingedrungen. Tiefflieger beschießen mit Bordwaffen alles Bewegliche. Am Sonntag, 8. April beschießt die Artillerie die Hauptstraße Adelhausen - Eishausen. Hinter Rodach nach Adelhausen zu werden 70cm starke Lindenbäume gesprengt und als Panzersperren verwendet. Aufklärer beobachten diesen Vorgang.

Am 9. April wird der Angriff erwartet. Lebensnotwendige Güter werden in Kisten und Kasten verpackt, teilweise sogar vergraben.

Am 10. April ist der Himmel hell und klar. Ein Aufklärer kreist dauernd über dem Ort. Im Dorf liegen 11 Soldaten der Waffen-SS, die vom Rodacher Kampfkommandanten zur Verteidigung abgestellt sind. Sie beziehen Stellung am Hopfenberg und sind nicht zu überreden, den Ort zu verlassen. Alle Einwohner bringen sich in Kellern in Sicherheit. Da taucht im Nordwesten des Hopfenberges der erste feindliche Panzer auf. Spähwagen halten sich in seiner Nähe. Ein SS-Freiwilliger aus Weißrußland eröffnet das Feuer und gibt damit das Zeichen für den Angriff. Lemmpertshausen wird unter Feuer genommen. Ein unaufhörliches Brummen von Flugzeugmotoren, schwere Artillerieschläge! Schließlich ist nur noch ein einziges Pfeifen, Heulen und Dröhnen. Es können zwei Stunden vergangen sein. Plötzlich fällt kein Schuss mehr. Ein Aufatmen! Vorsichtig gehen nur wenige aus ihren Verstecken, bringen weiße Tuecher an oder nutzen die Gelegenheit und gehen außerhalb des Dorfes sogar in den Wald. Nach 10 Minuten beginnt aber das Schießen von neuem. Diesmal sind es Brandgranaten. Schon ist es, als falle Aschenregen auf die Dächer. Die Angst schaut aus den Augen, Kinder weinen. Auf einmal lässt das Schießen nach. Pferde springen im Galopp, wiehernd vor Angst, die Dorfstraße hinab, das Vieh brüllt das Entsetzen. Nach und nach trauen sich die Menschen aus ihren Verstecken, aber zunächst kann keiner dem anderen helfen.

An acht verschiedenen Stellen brennt es. Infolge der Trockenheit rast das Feuer von einem Gehöft zum anderen. Viel Vieh ist noch in den Ställen und wartet mit einem mark- und beinerschütterndem Gebrüll darauf, dass es losgebunden wird. Männer und Frauen tun ihr Bestes und bekämpfen das Feuer. Zum Unglück zerfahren die einrückenden feindlichen Truppen mit ihren Panzern und Geschützen die Schlauchleitungen der Feuerwehr.
Die Glocke auf dem 1737 erbauten Gemeindehaus setzt sich durch die Hitze von selbst in Bewegung zu ihrem eigenen Totengeläut. Dann fällt das Haus in sich zusammen.

Dem Feuer fielen zum Opfer 13 Wohnhäuser und 17 Scheunen. Total brannten die Häuser folgender Besitzer ab:
Berthold Stölzel Nr 25
Felix Pfeuffer Nr 26
Viktor Wirsing Nr 27
Ludwig Büttner Nr 28
Hermann Morgenroth Nr 22
Ernst Morgenroth Nr 23
Paul Stampf Nr 24
Erwin Gatzer Nr 6
Ottomar Schwanert Nr 17
Gemeindehaus Nr 19
Alfred Fischer Nr 15
Hilda Stedler Nr 12
Werner Meyer Nr 30
Nebengebäude Bernhard Karnitschky Nr 31
Herbert Thiem Nr 16
Alma Gatzer Nr 5

Es kamen ums Leben: Ludwig Büttner, 50 Jahre, Besitzer des Hauses Nr 25
Bruno Morgenroth, 15 Jahre aus dem Hause Nr 23
zwei Soldaten, unter den Toten war der Schütze, der das Unglück ausgelöst hatte.

Diese vier Menschen glaubten sich in dem Keller unter der Scheune in Sicherheit, die zum Haus Nr 28 gehörte. Als die Scheune von dem Feuer erfasst wurde, kamen sie nicht mehr heraus.

Zwei weitere Soldaten wurden am Wasserbehälter vor Heldritt erschossen. Beide waren an der Verteidigung von Lempertshausen beteiligt. Der fünfte Soldat wurde verwundet, drei andere wurden in Lempertshausen gefangen genommen.

Ein 15 jähriger Junge aus Massenhausen kam auf dem Heimweg auf der Höhe des Kirchsteigs durch Bordwaffenbeschuss eines Tieffliegers ums Leben.
An Tieren kamen um: 54 Rinder, 2 Pferde, 36 Schweine, 19 Schafe und 11 Ziegen.
Noch lange fehlten 4 Pferde und anderes Vieh. Diese 4 Pferde wurden wieder beigebracht, das letzte aus Veilsdorf. Noch nach Tagen fand man verendetes Vieh auf den Feldern.

In Lempertshausen waren 64 Flüchtlinge untergebracht, nämliche 6 Kroaten, 20 Ausgebombte aus Hamburg, 32 aus dem Osten und 6 aus Windsberg bei Pirmasens. Diese Menschen mussten in Nachbardörfer verlegt werden, weil Wohntraum fehlte.

Am 8. Mai detonierte ein Blindgänger. Der 12 jährige Helmut Lutz aus Heldritt, gebürtig aus Lempertshausen, musste sein junges Leben lassen. Außerdem gab es noch einen Schwer- und einen Leichtverletzten. An der Unglücksstelle am Verbindungsweg von Lempertshausen nach Heldritt in der Nähe des Steinbruches steht heute zur Erinnerung eine Weißtanne.



Sehr interessant wie ich finde. Solche Texte müssen unbedingt für die Nachwelt festgehalten werden. Ähnliche Beschreibungen hab ich für fast jeden Ort im Rodacher Raum.


 
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RE: Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum

#2 von gerd , 16.10.2012 17:08

Andy,
deine Bedenken kann ich zertreuen,denn A.Schubert ist 1985 verstorben.Er hatte mir 1976 das Heftchen mit einer persönlichen Widmung geschenkt.Das zweite Buch mit dem Titel "Das Ende des 2.Weltkrieges im Coburger Land" steht ebenfalls bei mir im Regal.
Ich kannte Schubert seit Kindertagen,denn er und seine Frau Gretel gingen zu Anfang der 50er Jahre bei meinen Eltern ein und aus!
Er stammte aus einer kinderreichen Familie aus Neuhaus-Schierschnitz,studierte Germanistik(in Jena??) und war in den 30er Jahren in der kleinen Ortschaft Melkers bei Meiningen Schullehrer.Im 2.W.K. verlor er einen Unterarm! Und da er als "Vorbelastet" galt,konnte er unmittelbar nach Kriegsende seinen Beruf als Lehrer nicht aufnehmen.
Seine "grosse" Zeit hatte er dann bis zur Währungsreform 1948 und darüber hinaus .....er betätigte sich als "Schieber" um seine Familie über Wasser zu halten.(Abenteuerlich war die Flucht der Familie in den "Westen"!)

Wolf Dietrich Nahr(ein gebürtiger Weismeiner)und in den 80er Jahren als Redaktionsleiter der Erlanger Nachrichten tätig,schrieb ein kleines Buch mit dem Titel:"Coburg 1945-Die Befreiung-Der Zeitungskrieg-Der Neubeginn".
Bei den Recherchen zu dem Buch hatte Nahr auch Dr.A. Schubert befragt und lässt ihn in seinem Buch unter dem Artikel."Schmuggler,Schwarzhändler und Grenzgänger"zu Wort kommen,ohne den Namen Schubert zu erwähnen!
Als ich das Heft in die Hand bekam,wusste ich sofort wer da gemeint war!(Ich habe dann mit dem Nahr Kontakt aufgenommen und er hat mir das bestätigt)
Schubert konnte dann in den 50er Jahren seinen alten Beruf als Lehrer wieder aufnehmen und begann seine neue Laufbahn als Lehrer in Rodach.
Zunächst noch in Coburg wohnhaft pendelte er täglich zwischen Coburg und Rodach.Wenn es das Wetter zu ließ fuhr er die Strecke mit dem Fahrrad und nicht nur da war er mit dem Rad unterwegs,sondern als er zu seinen Geschichten, die letzten Kriegstage betreffend,übers Land fuhr um noch lebende Zeitzeugen zu befragen,machte er das,wie er mir 1976 sagte , alles mit dem Fahrrad und ...wohlgemerkt...nur mit einer Hand!!
Er war dann am Aufbau einer Laienspielgruppe maßgeblich beteiligt,aus der später die Heldtritter Waldbühne hervor ging.
Alte Rodacher,die ihn kannten ,oder bei ihm in der Schule waren,werden sich wohl an die Geschichten erinnern,die sich um ihn ranken!!?
Bekannt ist,das er einem "Guten Tropfen" nicht abgeneigt war!
Da er als Thüringer galt hatte er in den 50er Jahren den Spitznamen "Ossi",in Anspielung auf die damalige "Ostzone"-DDR ,der er ja den Rücken gekehrt hatte.
Ich werde nie vergessen,das er stets einen Ärmel von seinem Hemd oder Jackett hochgeklappt und mit einer grossen Sicherheitsnadel befestigt hatte.Für mich als ganz kleinen Jungen war das unverständlich,das er nur eine Hand hatte,wo wir doch alle zwei Hände hatten!....


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RE: Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum

#3 von 2fast4u , 16.10.2012 17:42

Da sieht man mal wieder wie klein die Welt ist! Danke Gerd für diese Informationen.
Ich wünschte mein Großvater würde noch leben - da gäbe es sicherlich einiges aus dieser Zeit zu berichten.

Das von dir erwähnte 2. Buch kenne ich leider nicht - oder ich müsste mal bei meiner Großmutter unten im Regal wühlen. Wie ist das so vom Inhalt und Umfang? Das von mir zitierte Geheft ist ja relativ dünn. Was steht denn im 2. Buch alles?

 
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RE: Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum

#4 von gerd , 16.10.2012 18:26

Das etwas dickere Buch von Schubert hat ca 300 Seiten und er geht auf die Vorgeschichte vom 2.W.K. ein.(1.W.K.-Versailler Vertrag usw.)
Interessant sind die Bilder im Buch aus Rodach und Lempertshausen,denn dort hatte es ja ganz schön "gerummst".
Das Buch ist 1985 erschienen, nachdem Schubert bereits verstorben war.
Es war bei Riemann zu bekommen,leider ist die Bindung des Buches recht mangelhaft ausgeführt und es beginnen sich Seiten zu lösen!
Wie ich erfahren habe,war Schuberts grosses Idol der Heimat Dichter Schaumberger,(bekannt dessen Werk:"Im Hirtenhaus")der in Weissenbrunn vorm Wald wohnte.Schubert hatte von dem ,ich glaube es waren drei Bücher,im Eigenverlag heraus gegeben.Und wie es so kommt...der Absatz der Bücher liess zu wünschen übrig und der damalige Herausgeber der "Blätter zur Geschichte des Coburger Landes",Walter Eichhorn aus Unterlauter machte bei seinen Lesern dafür Reklame,das sie die Bücher erwerben sollten....


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RE: Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum

#5 von gerd , 16.10.2012 18:43

Andy,wenn die Grossmutter noch lebt..? frage sie doch einmal ob sie noch was vom Schubert weiß?
Denn der war doch in Rodach und drum rum bekannt damals!

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RE: Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum

#6 von 2fast4u , 16.10.2012 18:51

Ahh ok, danke für die Hintergrundinfos. Also bis auf das eine Geheft ist leider nichts von Schubert in unserem Besitz, hab vorhin nochmal nachgeschaut.
Schaumberger ist mir wohl bekannt - seine damalige Frau ist in Ahlstadt (wo ich gebürtig herkomme) auf dem Friedhof beerdigt - der relativ große Grabstein steht noch heute dort.

 
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RE: Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum

#7 von gerd , 17.10.2012 15:52

Andy....
Abschied von einem Mythos
Am 2.Osterfeiertag des Jahres 1945 haben die Amerikaner das Dorf Melkers(!) besetzt,einige Kilometer nördlich von Meiningen.
"Was wollen denn die Prösse da?"so hatte der alte 85 jährige Jörg sie bestaunt.
Prösse = hennebergisch für Preussen.
Nur schwer war er davon zu überzeugen,daß der Krieg verloren sei und daß die fremden Soldaten keine Prösse,sondern Amerikaner seien.Jörg:"Krieg verloren? Amerikaner?..Da haben die Prösse nicht aufgepaßt!"
In seiner Einfältigkeit hat aber der alte Jörg die Wahrheit gesagt...
Ein ganzes Volk hat nicht aufgepasst......
Mit diesen Zeilen begann Dr.Schubert aus Rodach sein kleines Heft über die letzten Kriegstage hier in unserer Ecke...

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RE: Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum

#8 von faraway , 03.11.2012 04:58

Hallo Andy,

erst heute hab ich diesen Beitrag von Dir gelesen und es hat mich wieder mal erschuettert zu hoeren, was damals alles vor sich ging.

Zitat
Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum



Dabei kommen auch heute noch die Traenen......was fuer eine furchtbare Zeit! Und wie man erst vor kurzem wieder lesen konnte, ist die Gefahr von damals immer noch nicht vorbei ......Blindgaenger richten heute noch Unheil an. Wenn man doch wenigstens denken koennte, dass die Menschheit aus diesem und all den vielen anderen Kriegen was gelernt haette, aber nix is damit.

Trotzdem, Andy, danke fuer das Einstellen; wie Du ganz richtig sagst, muessen solche Berichte erhalten bleiben.

Gruss,


Angelika

 
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RE: Kriegsende im Coburger Land / Rodacher Raum

#9 von 2fast4u , 03.11.2012 13:32

Keine Ursache. Ich werde bei Gelegenheit noch mehr solcher Beiträge von anderen Ortschaften im Coburger Raum einstellen.
Wirklich eine schlimme Zeit. Ich kenn es nur von Erzählungen von meinem Großvater - was der für Geschichten live erlebt hat, ist wirklich erschreckend

 
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