Heinrich Emrich, Dr. Hassenstein, König Ferdinand und Hans v. Bötticher

#1 von Johannes Emrich , 24.02.2020 18:00

Hallo zusammen,

ich habe im Nachlass meiner Urgroßtante Katharina Emrich einen Brief von Dr. Rudolf Hassenstein gefunden, der hier im Forum ja schon mehrfach aufgetaucht ist. Anlass ist der Tod ihres Bruders Heinrich Emrich (*1869 in Grünstadt/Pfalz), der irgendwann in den 1910er oder 20er Jahren mit seiner Frau von Luckau in der Lausitz nach Coburg umzog und dort wahrscheinlich noch als Lehrer gearbeitet hat, und der offenbar mit Hassenstein befreundet war. Ich hänge einfach den kompletten Brief an (mit ein paar Einfügungen meinerseits in eckigen Klammern), vielleicht interessiert sich jemand dafür.

Falls jemand irgendetwas weiß über Heinrich und/oder seine Ehefrau Toni Emrich geb. Weidmann, die wohl gebürtige Coburgerin war, würde ich mich sehr freuen, davon zu erfahren - seinen es Infos zu deren Berufsausübung, familiärem Hintergrund oder Anekdotisches - völlig egal. Da ich für eine Art Familienbiographie sammle und Heinrich eher ein Außenseiter in der Familie Emrich war, bin ich für alles dankbar!

Viele Grüße Johannes Emrich


Hambach [bei Coburg], 24.12.1936
(früh 6¼ Uhr)

Hoch verehrtes Fräulein Emrich!
Ihr gut durchdachter, fein stylisierter und sachlich gut begründeter Brief an die Witwe meines verehrten Freundes in Sachen Herausgabe seiner Racine-Übersetzung hat mich sehr bewegt: Ihnen zweifellos ist es Herzenssache, wie auch mir!
Ich beeile mich, gegen die Regel, zu antworten; vielleicht kommt, nach Besprechung mit dem nun schon sich bildenden weiteren Helferkreis hier, noch eine Nachschrift. Ich schreibe auch sehr früh, statt der sonst strenge innegehaltenen Matutin, im Gehorsam gegen das erste Tageswort aus jener Welt: des Thomas a Kempis Rat, manchmal zu den äußeren Werken zu fliehen, nämlich, wenn die inneren allzu sehr Bedrängnis bringen. Sie sehen ja aus meinem Brief, vor welchen Plänen ich stehe.
Der Geist des Verstorbenen [Heinrich Emrich] wehte aus ihren Zeilen: selbst die Handschrift zeigt Anklänge. Vermutlich standen Sie, Verehrteste, wie im Alter, auch dem Wesen nach ihm näher als die anderen Geschwister.
Genau das, was Sie einwanden, ist oft und oft, mehrmals in bezaubernder Umgebung, unsere Feste in Blumenpracht und Rauhreif und in der Stille der Studierstube mit dem Blick auf die Türme droben, beraten worden.
Wir kamen auch noch auf andere Gründe gegen die Bitte an Czar Ferdinand [von Bulgarien; seit 1918 im Exil in Coburg]: er ist nicht nur kluger Welt- und Geldmann, sondern auch eifriger römischer Katholik, erst sein Sohn Boris Grieche. Racine aber war Grieche in einem anderen Sinne, etwa wie Goethe, und seine geistige Jugendheimat, das Jansenisten-Kloster Port Royal stand in seinem Kampf weniger gegen Rom, als gegen den herrischen Katholizismus Louis XIV. (Gallikanismus), unmittelbar unter dem Einfluss griechischer neutestamentlicher Studien und, was erst ich entdeckt habe, der Nachwirkung griechischer Mystik vom Athos, die durch das Bündnis Louis mit den Türken gegen Österreich erstmals wieder bekannt wurde.
Wir müssten also, sagten wir uns, unsern Protestantismus historisch abschwören, wollten wir, was in der Einleitung Pflicht wäre, Racine als guten Römer (griechisch: „Lateiner“, denn die ersten „Rhomäer“ sind die Griechen!) hinstellen. Seine letzten Werke, Athalie und Esther, bedeuten sogar: „lieber Jud als Rom“!
Sie haben also durchaus Recht, wenn Sie sagen, Verehrteste: „die Übersetzung allein! Ist es dem König Herzenssache, so druckt er sie ganz und auf seine Rechnung. Sonst mag sie ruhen, bis ein anderer König aufkommt.“
Ich antworte, Ihnen, nicht Ihrem Herrn Bruder: Zunächst glaube ich, erneut, seit ich ihm vorgestern einen Augenblick aus nächster Nähe in die großen, ruhig-freundlichen Augen sah, dass König Ferdinand fähig ist, Herzenssachen zu haben, trotz Politik und Finanz. Ich danke Ihnen sogar für den Ausdruck, wir sprachen nie davon. Aber wer kennt das Herz dieses sichtlich verschlossenen, fast scheuen Herrn? Kaum Jemand so gut, als Prof. [Hans] v. Bötticher, der ihn auf weiten Reisen begleitet und ihm als Schriftsteller wohl die Feder geführt hat, mindestens auf seinem Lieblingsgebiet der Vogelkunde.
Ich habe keine Meinung, die nicht die Hrn. v. Böttichers wäre: wir haben jedes Wort meines Schreibens geprüft; der Rat, meine Person vorne an zu stellen, ganz gegen meine Regel, ging von ihm aus: es galt, das Herz des Forschers im König zu erreichen, und dazu musste ich mich als Brahmane alter Kaste vorstellen. Afrika ist für ihn mehr als Port Royal und Athos. Und das mit Recht.
Denn dort, an der ältesten Kirche der Welt, der koptisch-abessinischen, muss sich jetzt Rom noch einmal als Menschheitskirche erweisen, wenn es kann. Wir bestreiten das, wie auch Louis XIV.; diese Fragen sind durch Hitler brennend wichtig. Racine hat geschwankt. Er hat Port Royal bekämpft, seine Meisterwerke im Dienst des Königs-Gedankens geschrieben, erst im Alter, als der König selber schwankend wurde, hat er in „Athalie“ eine Art Ausgleich gesucht: alttestamentlich, vielleicht kabbalistisch zu verstehen, er mag Rosenkreuzer geworden sein, die Freimaurer waren im Entstehen.
Nun beachten Sie, verehrte Frau: Ist der König Forscher in erster Linie, mehr als Vertreter seines Hauses, das doch er selber erst als Königshaus begründete, so gefällt ihm gerade diese Würdigung Racines als Problematiker der Kirche, streicht sie vielleicht mit Rotstift an und schickt sie durch seine Enkelin nach Rom. Dann kommt der Rest von selber nach und unser Dichter erhält sein Recht, als Neuphilolog, als Deutscher, als Mensch im Sinn Goethes, und auch als lange Jahre Freund meiner Forschung.
Es kommen noch andere Gründe für die Einleitung mit Auswahl in Betracht:
1.) So wahr es ist, dass man Meisterwerke wie die Racines nur als Ganzes verstehen und schätzen kann, – wer liest heute noch so ein Bändchen wirklich durch? Selbst wir vor 50 Jahren, die wir doch weit mehr, als die Sportjugend heute, sesshaft waren, sind doch kaum aus freien Stücken, selbst über Schiller und Goethe solange sitzen geblieben, um einen klaren Gesamteindruck zu bekommen.
Und wirklich sind doch auch gerade in der „steifen“ französischen Tragödie lange Stellen in kurzen Worten besser auszudrücken: wenn wir als ersten Anhieb eine solche Tragödie im Ganzen auf den Markt bringen, sagt der Durchschnitts-Kenner: also mal wieder Racine! Und die Schönheit der Werke Heinrich Emrichs am Fluch der Unlesbarkeit des langatmigen Originals! Und wenn Sie ein Stück genau durchsehen: er ist manchmal auch müde geworden, nicht Alles Glanz.
Wenn wir aber diese Glanzleistungen der Übersetzungen im Rahmen einer milden, aber scharfen Beleuchtung jenes und unseres Zeitalters, eine Schnur echter Perlen, aneinanderreihen, verbunden durch straffe Zusammenfassung der oft operettenhaft hüpfenden Handlungen dazwischen, das macht Freude, das schafft Kraft, Dichter und Übersetzer ausführlich zu lesen, windet dem Toten den ersten Lorbeerkranz einer Würdigung seines Besten.
Nun kommt das ganz Sachliche: Ihr Bruder starb, soweit ich weiß, in der Meinung, seine gesamte Familie werde für sein Werk nach seinem Tode erst vollends blind werden; wir besprachen sogar mit dem 80jährigen Frl. Schemann die Möglichkeit, Handschrift und zugehörige Bücher durch ihren Bruder, den Gobineau-Forscher [Ludwig Schemann], der deutsch-französischen Gesellschaft, ja direkt dem französischen Propaganda-Ministerium in Paris überreichen zu lassen.
Aber nun habe ich mit vollem Einverständnis der Witwe die Bereitschaft der Familie, nach Kräften mitzuhelfen, in mein Schreiben einfügen können. Und da es sich doch dabei wieder um Arbeitsbeschaffung für den Betrieb eines Ihrer Brüder handelt, ist das doch auch für meinen Plan einzusetzen.
Ich hoffe, Verehrte, solchergestalt Sie zufriedengestellt zu haben. Von Ihnen wird weiter Nichts verlangt, als dass Sie weiterhin für das Werk als Ihre Herzenssache eintreten, in welcher Form, liegt bei Ihnen.

[Nachtrag, vermutlich von der Witwe Toni verfasst:] Liebes Katchen, liebes Elischen! Wir wünschen Euch beiden ein gesundes, gutes neues Jahr! Eure Coburger.
Heinz muss heute leider wieder fort.
Seine Unterschrift scheint Dr. [Rudolf] Hassenstein vergessen zu haben.

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RE: Heinrich Emrich, Dr. Hassenstein, König Ferdinand und Hans v. Bötticher

#2 von Christian , 25.02.2020 09:06

Also ich habe etwas im Adressbuch von 1927 gefunden:

Heinrich Emrich, Professor, wohnhaft in der Oberen Leopoldstraße 10. (Ein Foto dieses Hauses befindet sich in unserer Straßenreihe)
Dort lebte er zur Miete. Sein Vermieter war der Bäckermeister und Privatier Carl Weidmann. Es könnte sich dabei um den Schwager Emrichs gehandelt haben. Noch bis 1983 hat die Familie Weidmann in dem Haus gewohnt.


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