In Coburg finden wir an etwa 20 Häusern Gedenktafeln angebracht, die an Gelehrte, Dichter, Künstler, hochherzige Stifter und verdienstvolle Persönlichkeiten erinnern sollen. Darunter ist nur eine Tafel einer Frau gewidmet, der in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts berühmten Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Das Haus Glockenberg 2, an dem die Tafel angebracht ist, liegt etwas versteckt. Geht man vom Steintor den schmalen Weg hoch, der zum Ernestinum und zum Haus Kontakt führt, so zweigt am Anfang rechts ein Stichweg ab, in dem das alte Haus zu finden ist. Leider ist es nicht in einem guten Zustand. Wenige Menschen kommen dort vorbei und viele Mitbürger werden nicht wissen, welche Bedeutung einst Wilhelmine Schröder-Devrient hatte. Dieser Aufsatz von Ernst Eckerlein soll in Kurzform über das Leben, Wirken und Schicksal der Künstlerin erzählen, die auch in Coburg gefeiert wurde und hier am Ende ihres Lebens in den ewigen Frieden einging.
Wilhelmine Schröder wurde in Hamburg am 6. Dezember 1804 geboren. An diesem Tag blitzte und donnerte es stundenlang bei undurchdringlichem Schneegestöber. Die Zeichen des Himmels könnten zukunftsweisend als Glück und Unglück gedeutet werden. Und in den ersten Stunden ihres Lebens erfüllte Wilhelmine das bescheidene Haus ihrer Eltern mit lautem Geschrei. Aber der Hausarzt beschwichtigte die Eltern mit den Worten: "Das gibt einmal eine gute Sängerin". Die Mutter Sophie Schröder war eine damals bekannte Sängerin und der Vater, der Bariton Friedrich Schröder, eine beliebte Persönlichkeit der Theaterwelt von Hamburg. Schon in ihrem vierten Lebensjahr begann für Wilhelmine der Ernst des Lebens. Ihre Mutter wollte eine Tänzerin aus ihr machen. Ihr Tanzlehrer war ein nach Hamburg verschlagener Afrikaner, der zwar keinen bösartigen Charakter besaß, aber heftig, streng und zuweilen auch handgreiflich war. Er spielte zu den Tänzen auf seiner Violine und gab dem kleinen Mädchen oft empfindliche Schläge mit dem Violinbogen. Im Alter von 5 Jahren trat Wilhelmine zum ersten Mal mit Erfolg auf. Und so vergingen einige Jahre, in denen sie neben dem Tanz auch in Kinderrollen die Zuschauer entzückte. Ihr Schulunterricht war mangelhaft, da sie zu keinem anderen Studium als zum Tanz angehalten wurde. Inmitten des Kriegsgetümmels verließen die Eltern 1813 mit vier kleinen Kindern Hamburg, zogen durch Norddeutschland, gingen später an den Rhein und kamen schließlich nach Frankfurt am Main. (Fortsetzung folgt)
Dann wechselten sie nach Prag über, wo sie endlich ein längeres Engagement erhielten. Auf diesen Irrfahrten musste Wilhelmine und ihre Schwester Betty, die auch das Tanzen gelernt hatte, das tägliche Brot durch ihre kleinen Sprünge verdienen. In Prag, wo ihre Eltern 2 Jahre blieben, gelangte die Mutter Sophie Schröder zu Künstlerruhm, während die Kinder im Ballett des Theaters tanzen konnten. Der kränkelnde Vater, den Wilhelmine sehr liebte, kümmerte sich liebevoll um die Kinder. Nachdem die Mutter ein Engagement am Burgtheater in Wien erhalten hatte und der Vater dort mit kleinen Rollen beschäftigt werden sollte, zog die Familie in die Donaumetropole. Für die Kinder bot sich die Möglichkeit, in dem berühmten Wiener Kinderballett tanzen zu können. Wilhelmine wurde bald der Liebling des überaus strengen Ballettmeisters. Sie fiel nicht nur durch ihr tänzerisches Können, sondern auch durch ihre Mimik auf. Der Vater starb im Sommer 1818 in Karlsbad, wo er Genesung hoffte. Sein Grab konnte Wilhelmine später nicht mehr finden. Noch zu Lebzeiten des Vaters war sie aus dem Ballett ausgeschieden. Sie begann ihre mangelhaften Schulkenntnisse zu ergänzen und bereitete sich unter Anweisung ihrer Mutter zu größeren dramatischen und gesanglichen Aufgaben vor. Im Jahre 1819 debütierte die 15jährige Wilhelmine im Schauspiel. Sie erntete großen Beifall als Luise in "Kabale und Liebe", als Beatrice in der "Braut von Messina" und als Ophelia in "Hamlet". Zugleich trat aber auch ihre musikalische Begabung immer stärker hervor. Sie nahm Gesangsunterricht und bereits nach einem Jahr vertauschte sie das Drama mit der Oper. Die Kritik lobte ihre Stimme und war entzückt von ihrer anmutigen Gestalt. Wilhelmine besaß die Gabe, ihre Rolle Wort, Blick, Ton und Bewegung lebenswahr zu gestalten. Sie ließ sich aber durch Lobeshymnen nicht beirren, sondern arbeitete mit großem Fleiß weiter an sich. Am 7. März 1822 wurde in Wien der "Freischütz" von Carl Maria von Weber mit beispiellosem Erfolg gegeben. Der Komponist dirigierte seine Oper selbst und Wilhelmine Schröder als Agathe teilte mit ihm den Triumph der Aufführung. Auch in Dresden, wohin sie im Sommer 1822 mit ihrer berühmten Mutter zog, erregte ihre Schönheit und ihr Talent allgemeine Bewunderung. Ihren größten Triumph als junge dramatische Sängerin erntete sie kurze Zeit danach in Wien als Leonore in Beethovens "Fidelio". Beethoven war nicht damit einverstanden, dass man die Rolle einem 17jährigen Mädchen anvertrauen wollte. Aber es war einmal so bestimmt und die Mutter Sophie Schröder studierte die schwere Partie ein. Beethoven war schon damals taub und konnte sein Werk nicht selbst dirigieren. Er saß am Abend der Aufführung im Orchester. Die junge Künstlerin verkörperte eine Leonore so, wie sie sich der Meister vorgestellt hatte. Nach der Vorstellung ging er zu ihr und seine sonst finsteren Mienen lächelten ihr zu. Er dankte ihr und versprach, eine weitere Oper für sie zu komponieren. Dieses Versprechen sollte sich aber nie erfüllen. (Fortsetzung folgt)
Wilhelmine war nicht nur eine Künstlerin, deren Können und Wesen eine große Zukunft versprach, sondern sie war auch eine tüchtige junge Hausfrau. Sie widmete sich mit leidenschaftlichem Eifer ihren musikalischen und dramatischen Studien, aber sie vergaß dabei nicht, für ihre jüngeren Geschwister zu sorgen und den Haushalt in Ordnung zu halten. Ihre im Theater vielbeschäftigte Mutter hatte dafür wenig Sinn. Auch die Gesellschaft nahm die junge und schöne Künstlerin mehr und mehr in Anspruch. Sie empfing mit Freuden die vielen Huldigungen, die ihr dargebracht wurden. Aber sie hatte auch schwere Stunden, in denen sie an sich selbst verzweifelte und in denen sie Leidenschaften und Laster in hässlicher Weise sehen musste. Das war ihr zuwider. Sie hatte Sehnsucht nach Ruhe und einem einfachen Leben. "wenn ich katholisch gewesen wäre," so sagte sie oft, "hätte ich mich am liebsten in ein Kloster geflüchtet." Dazu kam es aber nicht. Sie lernte den Schauspieler Karl Devrient kennen, einen schönen Mann mit einschmeichelndem Benehmen. Sie hoffte, dass eine Ehe mit dem geliebten Mann für sie die Zuflucht werden könnte, nach der sie sich sehnte. Im Sommer 1823 fand in der Jerusalemkirche in Berlin die Trauung statt. Das Künstlerpaar zog nach Dresden, wo beide engagiert waren. Die Ehe war aber in jeder Beziehung eine unglückliche und wurde nach 5 Jahren wieder geschieden. "Ich musste mich frei machen, um nicht als Frau und Künstlerin unterzugehen." Die Freude an ihren Kindern - zwei Knaben und zwei Mädchen - hatte sie nicht wie andere Mütter genießen können. Sie musste die Kinder fremden Leuten anvertrauen, wenn sie ihren Gatten auf Kunstreisen begleitete. Ein kleineres Töchterchen starb durch Unachtsamkeit der Wärterin. Jahrelang verfolgte Wilhelmine das Bild des sterbenden Kindes, "das", wie sie sich ausdrückte, "für die Kunst gemordet wurde". Nach der Scheidung tat sie trotz ihrer Berufspflichten mehr für die Kinder und den Haushalt als viele andere Mütter in ihrem Beruf. Pedantische Ordnungsliebe steigerte sie zu einer Art Fanatismus. Sie liebte keinen Prunk. In ihrer Wohnung war Raum für Licht, Luft und freie Bewegung und die Einrichtung war schlicht in schönen Formen. (Fortsetzung folgt)
Ihre Kleidung war von betonter Einfachheit. Entgegen dem Mode-Zeitgeist trug sie nie eine Krinoline. Auch ihre Handarbeiten, besonders ihre feinen Stickereien, waren geschmackvoll und sauber ausgeführt. Wilhelmine besaß viele Talente. Sie konnte zeichnen und modellieren. Sie komponierte Lieder und lernte fremde Sprachen, eine Fähigkeit, die sie später bei ihren Gastspielen in fremden Ländern gut nutzen konnte. 24 Jahre wirkte Wilhelmine Schröder-Devrient in Dresden, unterbrochen von zahlreichen Gastreisen. Sie wurde immer selbstbewusster in ihrem künstlerischem Schaffen. Eingehend studierte sie die Musik ihrer Rollen, vertiefte sich in die Handlungen der Stücke, erforschte die Charaktere der Personen, die sie zu verkörpern hatte und lernte sogar Fechten, um männliche Rollen echt darstellen zu können. Schließlich achtete sie drauf, dass ihre Kostüme auf das Genaueste ihren Rollen angepasst waren. So war es ihr möglich, ganz im Sinne der Komponisten und Dichter zu spielen, wenn sie auch manche Texte ablehnte. 70 Opernrollen konnte sie darstellerisch und gesanglich interpretieren, darunter den Adriano in "Rienzi", die Venus in "Tannhäuser" und die Senta im "Fliegenden Holländer". Diese Wagneropern erlebten mit ihr in Dresden ihre Uraufführungen. Ging ihr bei zu häufiger Wiederholung einer Oper ihre Illusion verloren, so musste sie selbst ihre Lieblingsrollen eine Weile ruhen lassen. Dass sie auch Rollen, die ihr nicht ganz zusagten, zur Geltung bringen konnte, hat sie in der Gestalt der Venus in Richard Wagners Tannhäuser bewiesen. Sie hielt sich als 43jährige Frau nicht für geeignet, die Venus zu spielen, doch sie war damals die zauberhafteste Frau Venus der Sage. Die vielen Gastreisen, die sie unternahm, machten sie zu einer Künstlerin von europäischen Ruf. Sie gastierte in Berlin, München, Frankfurt und in vielen kleinen deutschen Städten. Höhepunkte erlebte sie in Paris und in London, auch wenn sie dort unter Neid und Missgunst einheimischer Sängerinnen zu leiden hatte. Schließlich aber erntete sie auch in diesen ausländischen Metropolen enthusiastischen Beifall. Wilhelmine Schröder-Devrient spielte und sang bei ihren Gastspielen nicht nur für ihren eigenen Ruf, sondern auch für die deutsche Musik. "Wenn ich nicht gefiel, so mussten auch Mozart, Beethoven und Weber darunter leiden", schrieb sie in einem Brief. Während einer Reise weilte sie auch in Weimar. Der 80-jährige Goethe wünschte die Künstlerin zu hören. Er lud sie ein und sie sang ihm einige Lieder vor, denen der Dichter mit Entzücken lauschte.
Als er noch Erbprinz von Sachsen-Coburg und Gotha war, lernte Ernst II. im Jahre 1843 die Künstlerin in Dresden bei einer Rienzi-Aufführung kennen. Drei Jahre später lud er sie zu einem Gastspiel nach Coburg ein. Sie wurde als Romeo und Valentine mit Blumen und Kränzen überschüttet. Im Frühjahr 1847 bei ihrem 2. Gastspiel in Coburg trat sie in ihren Glanzrollen Leonore und Norma auf und wurde wieder stürmisch gefeiert. Im Jahr 1852 beging das Coburger Hoftheater sein 25jähriges Bestehen. Wilhelmine Schröder-Devrient war Ehrengast und nahm an einem Souper teil, das der Herzog gab. Um die 1850er Jahre zog sich die Künstlerin von der Bühne zurück und trat nur noch in Konzerten in großen Städten wie Dresden, Leipzig und Berlin auf. Ihre zweite Ehe mit einem Herrn von Döring, einem verschuldeten Leutnant a. D., war eine Enttäuschung. Die Scheidung der Ehe erfolgte bereits nach einjähriger Dauer im Jahre 1848.
Im Jahre 1857 wurde eine Frau Schloenbach geb. Schröder, eine Schwester von Wilhelmine Schröder-Devrient, an das Coburger Hoftheater als Schauspielerin verpflichtet. Obwohl leidend besuchte Wilhelmine ihre Schwester in Coburg zu Beginn des Januar 1860. Ihr Zustand verschlimmerte sich. Sie sollte das Krankenbett nicht mehr verlassen und verschied in den Armen ihrer Schwester am 26. Januar 1860. Die Künstlerin, die sich in ihrem Leben zu viel zugemutet hatte, wurde in Coburg beigesetzt. Den Sarg bedeckten Lorbeerkränze des Herzogspaares und der Mitglieder des Hoftheaters. Den ehrwürdigsten Lorbeerkranz legte die 80jährige Mutter Sophie Schröder am Sarge ihrer Tochter nieder. Nach Jahresfrist ließ der dritte Gatte der Künstlerin, ein Herr von Bock, den sie 1850 geheiratet hatte, seine tote Gattin nach Dresden überführen, der Stadt, in der die Künstlerin über zwei Jahrzehnte gelebt und gewirkt hatte. Der Tenor Tichatscheck, viele Jahre Partner der Schröder-Devrient, ließ später die Gedenktafel am Sterbehaus Glockenberg 2 anbringen. Möge die Tafel noch viele Generationen an die große Künstlerin erinnern.