Andreas Flocken

#1 von Christian , 27.07.2021 08:46

Das Coburg überhaupt eine größere Rolle bei dieser technischen Innovation spielte, ist erst seit wenigen Jahren bekannt. Verbunden ist dies mit dem Namen des Mechanikers Andreas Flocken, der in der Vestestadt zumindest eines der ersten vierrädrigen Elektromobile überhaupt gebaut hat.

Um die Bedeutung von Flockens Konstruktion herausstreichen zu können, möchte ich sein innovatives Wirken unter dem Hintergrund der allgemeinen technischen Entwicklung, weg vom Gas-, hin zum Elektrozeitalter, beleuchten. Zudem werde ich kurz auf Flockens Vita eingehen und schließlich mich den Elektromobilen zuwenden, die in den Werkstätten des Mechanikers entstanden sind.

Flockens Erfindergeist ist nicht ohne weiteres zu verstehen, wenn man ihn ohne den allgemeinen technischen Wandel jener Jahre zu erklären versucht. Die Menschen durchliefen besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen so tiefgreifenden technischen und ökonomischen Wandel, wie in keiner anderen geschichtlichen Epoche. Zahlreiche Erfindungen veränderten und verbesserten das Alltagsleben der Menschen. Die Welt erlebte regelrecht eine Technikerweiterung. Zu der technischen Ausdehnung gehörte es auch, die schon lange bekannte Elektrizität für den Menschen nutzbar zu machen. Dementsprechend gingen dem Weg Coburgs zur Elektrizität zunächst einige technische Erfindungen voraus. 1866 konstruierte Werner von Siemens den ersten Dynamo. Die erste Glühbirne entwickelte Thomas Alva Edison im Jahr 1878. Vier Jahre später wurden durch den Elektrotechniker und späteren Gründer des Deutschen Museums in München, Oskar von Miller, die ersten oberirdischen Starkstromleitungen in Deutschland verlegt. Zeitgleich gründeten sich die ersten elektrotechnischen Unternehmen, bspw. die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft, kurz AEG. Es war deshalb nur eine Frage der Zeit bis diese neue Technologie auch nach Coburg kam. 1886 wurde hierfür zum Schlüsseljahr. Die Einwohner Coburgs bewunderten mit der Sängerfesthalle auf dem Ketschenanger das erste voll elektrifizierte Gebäude der Stadt. Die technische Ausführung oblag hier der Nürnberger Elektrizitätsfirma Schuckert. Im gleichen Jahr ließ Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha mit Hilfe eines elektrischen Generators das Schloss Ehrenburg vollständig elektrifizieren. Viele Coburger erkannten durch diese technischen Maßnahmen die Vorteile der Elektrizität. Gerade zu diesem Zeitpunkt begann Andreas Flocken mit seinen Versuchen zur Nutzung der Elektrotechnologie. Andere Coburger Elektrotechniker folgten ihm im kleineren Rahmen.

Flocken kam 1845 in Albersweiler im heutigen Rheinland-Pfalz als Sohn eines Büttners zur Welt. Er machte eine Ausbildung zum Schlosser und Mechaniker in der Landmaschinenfabrik Heinrich Lanz in Mannheim. Diese Firma entwickelte 1921 den ersten sogenannten „Bulldog“. Nach seiner Lehre war Flocken als Werkführer an der Mechanisierung der renommierten Strumpffabrik Schopper in Zeulenroda/Thüringen beteiligt. 1881 eröffnete er in Coburg an der Callenberger Straße eine Landmaschinenwerkstatt nebst Maschinenhandel. Er erweiterte seinen Betrieb 1888 um eine zweite Abteilung mit dem Schwerpunkt Elektrotechnik-Installation und Bau elektrischer Kraft- und Lichtanlagen wie Generatoren und Elektromotoren. 1891 gelang ihm, laut Coburger Zeitung, die erste elektrische Kraftübertragung im Herzogtum Coburg. Zugleich begann er mit dem Aufbau eines Stromnetzes im Coburger Bahnhofsviertel. Das Monopol der Städtischen Werke und der damit verbundene Bau des ersten Elektrizitätswerks im Jahr 1903 in Coburg verhinderte jedoch den weiteren Netzausbau. Trotz dieses Rückschlags zeigt Flockens Tätigkeit auf diesem Feld, wie fortschrittlich er gerade in Hinblick auf die Stromerzeugung und -versorgung dachte. Er stand für einen liberalen Energiemarkt, der in Deutschland erst 1998 Realität wurde.

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RE: Andreas Flocken

#2 von Christian , 28.07.2021 08:34

Flocken ließ sich durch dieses städtische Stromerzeugungsmonopol nicht entmutigen. Für sein Unternehmen suchte er neue Wachstumsmöglichkeiten und er fand sie auch. 1897 baute er seine Werkstatt zu einer Landmaschinenfabrik vornehmlich für Häckselmaschinen aus. Die Zahl der Angestellten stieg dadurch von 18 auf 50 Personen. Im Jahr 1906 eröffnete er zudem in Neuses bei Coburg eine Eisengießerei und schuf sich dadurch ein drittes Standbein. Nebenbei machte Flocken damit Neuses zu einem gefragten Industrie-standort. In Kulmbach und Saalfeld entstanden zudem zwei Firmen-niederlassungen. 1911 zog sich Flocken aus der Firma zurück. Er übergab das Unternehmen seinem Sohn, dem Elektro-Ingenieur Robert Flocken. Ein langer Lebensabend war dem Mechaniker und Konstrukteur aber nicht vergönnt. Er starb bereits 1913 im Alter von 68 Jahren in Coburg. Seine Firma existierte noch 18 Jahre weitere Jahre bis sie im Jahr 1931 durch die Weltwirtschaftskrise in Konkurs ging.

Die wenigen Schlaglichter die hier aufzeigt wurden, beweisen dass Andreas Flocken ein Vollblut-Unternehmer gewesen ist, der neuen Technologien offen gegenüberstand. Seinen Ruhm verdankt er jedoch seiner Arbeit als Automobil-Konstrukteur. 1888 begann er in seiner Werkstatt mit dem Bau einer sogenannten „Dampf-Chaise“. Er versah dabei einen hochrädigen, eisenbereiften Kutschwagen, der wohl über einen hohen Schwerpunkt, einer schmalen Spurweite und einer Drehschemellenkung verfügte, mit einem Elektromotor. Dessen Leistung von etwa 0,9 kW wurde mittels Lederriemen auf die Hinterachse übertragen. Das Fahrzeug soll eine Höchstgeschwindigkeit vom 15 km/h erreicht haben. Das hölzerne Fahrzeuggestell besaß vermutlich ein Gewicht von 400 Kilogramm. Im Aufbau ähnelte dieses Gefährt der von Gottlieb Daimler 1886 konstruierten „Daimler Motorkutsche“. Bis 1892 waren die Arbeiten an dem Elektrowagen abgeschlossen. Von dem Wagen existieren heute nur noch zwei Fotografien, von denen eine in der Ausstellung gezeigt wird. In den Folgejahren verbesserte Flocken den Wagen weiter. Bemerkenswert ist hier die spätere Installation elektrischer Scheinwerfer aus eigener Herstellung. Flockens Entwicklung an einem Elektromobil geschah übrigens nahezu zeitgleich mit der Konstruktion des ersten Benzinautos auf Basis eines Verbrennungsmotors durch Carl Benz in Mannheim.

Um 1900 konstruierte Flocken ein Nachfolgemodell. Dieses Elektromobil verfügte über eine Achsschenkellenkung, luftbereifte gleich große Speichenräder mit Kugellagern sowie einem Batteriekasten über der Vorderachse. Die Spurstange wurde nach unten verlegt und besaß einen Steuergriff. Mit der Batterie besaß der Elektrowagen eine Reichweite von rd. 30 km. Steilere Steigungen wie den Coburger Festungsberg überwand der Wagen nach einer Probefahrt 1901 problemlos. Die Wegstrecke vom Firmengelände bis zum Hauptportal der Veste Coburg konnte das Elektromobil in 20 Minuten zurücklegen. Die Rückfahrt bergab gelang sogar in 15 Minuten. Auch von diesem Wagen hat sich ein Bildnis erhalten, das hier in der Ausstellung zu sehen ist. Den Strom zur Aufladung der Batterie erzeugte Flocken ab 1890 mit Hilfe von Wasserturbinen und Generatoren selbst. Dazu pachtete und erwarb er zunächst zwei Mühlen in Coburg und Neuses. Flocken nutzte hier die Wasserkraft des Flusses Lauter. Kurze Zeit später erwarb er eine weitere Mühle in Redwitz an der Rodach im heutigen Landkreis Lichtenfels.

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RE: Andreas Flocken

#3 von Christian , 29.07.2021 08:36

Trotz dieser innovativen Konstruktion erreichte das Elektrofahrzeug nie die Serienreife. Auch verzichtete Andreas Flocken nach 1902 auf den Bau weiterer Elektrowägen. Der Grund hierfür mag im einsetzenden Niedergang der Elektromobilität ab etwa 1910 liegen. Drei Faktoren waren dafür ausschlaggebend: 1. Benzinwägen verfügten im Gegensatz zu Elektroautos über einen Anlasser zum Starten. Das war viel bequemer. Zuvor musste man nämlich erst den Wagen ankurbeln damit er sich bewegte. Ein zweiter wichtiger Faktor, der heutzutage noch eine Rolle spielt, war die größere Reichweite von Benzinfahrzeugen. In diesem Zusammenfang fehlte es an einer flächendeckenden Infrastruktur zur Aufladung der Batterie. Als dritter Faktor ist hier das Angebot billigen Öls für Vergaserkraftstoffe zu nennen. Das alles führte dazu, dass die Verkaufszahlen für Elektrowägen zurückgingen. Die Autoindustrie reagierte darauf und stellte ihre Produktion vollständig auf Benzinwägen um. Damit war das Zeitalter der Verbrennungsmotoren und des Erdöls angebrochen. Heute scheint diese Ära ihrem Ende entgegen zu gehen. Dies belegen zumindest die Zahlen über die Zulassung von Elektroautos in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren. Die Elektrowägen Andreas Flockens gelten heute als verschollen. Sie tauchen nach 1902 auch nicht mehr in den Zeitungen oder gar im Testament des Konstrukteurs auf.

Wenn man nun die Arbeit Andreas Flockens zusammenfassen will, stellt sich die Frage nach den Verdiensten dieses Coburger Konstrukteurs. Flockens zentrales Anliegen war es, die Elektrotechnik als Ganzes zukunftsfähig zu machen. Dies zeigen seine Initiativen zur Elektromobilität, zur Stromerzeugung und zur Stromversorgung deutlich. Damit unterschied er sich von deutschen Konstrukteuren anderer Elektrowagen, die sich nur für die Elektromobilität stark machten. Flockens innovativster Verdienst ist es zudem, einer der Ersten in Deutschland gewesen zu sein, die sich ernsthaft an den Bau eines vierrädrigen Elektromobils wagten. Das geschah zu einer Zeit, als 1. die Elektrizität den Weg in den Alltag fand und 2. die Menschen entdeckten, welche Möglichkeiten ihnen mit dieser neuen Technologie offenstanden. Dieser Innovationsgeist Flockens sollte jedoch nicht zum Erfolg führen, man denke an den Aufbau eines eigenen Stromnetzes oder an den Niedergang der Elektromobilität zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wohl auch deshalb war das Wirken und der Name von Andreas Flocken in Coburg bald vergessen. Erst in unserer Gegenwart ist deutlich geworden, wie vorrausschauend und avantgardistisch dieser Unternehmer dachte. Sein Wirken ist heute ein wichtiger Bestandteil Coburger Technik- und Umweltgeschichte. Deshalb sollte auch in Zukunft an die fortschrittsorientierte Tätigkeit Andreas Flockens erinnert werden. Verdient hätte er es.


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RE: Andreas Flocken

#4 von Rolf Metzner , 28.09.2022 13:47

Ich bin mittlerweile im Besitz einer Ansichtskarte von 1912, welche die Maschinenfabrik A. Flocken in der Callenberger Straße zeigt und von Andreas Flocken persönlich geschrieben wurde (Vorder- und Rückseite):

Flocken, A., Maschinenfabrik Callenberger Str., 1912 (1).jpg - Bild entfernt (keine Rechte)Flocken, A., Maschinenfabrik Callenberger Str., 1912 (2).jpg - Bild entfernt (keine Rechte)


 
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