Der Hotel-Gasthof Bellvue am Salzmarkt (Beitrag vom 05.09.2009)

#1 von Christian , 04.09.2009 08:51

Seit 2008 wird in der Nähe des Coburger Schlossplatzes, auf dem Salzmarkt, ein Gebäude restauriert, welches durch seine Größe weithin beeindruckt. Die Rede ist vom ehemaligen Warenhaus Montag, welches Ende 2008 seine Pforten schloss. Dieses Geschäft war ein alteingesessenes Coburger Unternehmen, welches seit den Fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts am Salzmarkt residierte. Als Warenhaus wurde dieses Gebäude aber nicht gebaut. Seine Entstehungsgeschichte geht in das 19. Jahrhundert zurück.

Im Jahre 1864 errichtete der Gastwirt Carl Grau anstelle von drei Wohnhäusern dort ein stattliches Wohn- und Geschäftshaus im Stil der Neurenaissance. Die Bebauung des Grundstücks indes kann sich bis ins Jahr 1555 zurückverfolgen. Grau eröffnete in dem neuen Gebäude einen Hotel- und Gaststättenbetrieb, wie uns der erste Coburger Fremdenführer von 1866 berichtet. Als Namen für das Hotel wählte Grau die französische Bezeichnung „Bellvue“, was so viel wie „Schöne Aussicht“ bedeutet. Tatsächlich hatten die Hotelgäste eine schöne Aussicht von ihren Fenstern. Der Blick schweifte hinüber zum Schlossplatz Richtung Hoftheater und Palais Edinburgh. Als Besonderheit bot das Hotel einen eigenen Abholservice am Coburger Bahnhof an. Täglich stand dort eine Pferdedroschke, um die Gäste auf den Salzmarkt zu fahren. Dort angekommen fanden sie im Erdgeschoss des Hauses das Restaurant nebst Nebenzimmer und Billardzimmer vor. Der Eingang zu den Hotelzimmern erfolgte über einen separaten Hauseingang.

Das Hotel dürfte jedoch nur bis 1872 bestanden haben. Danach folgte mit der Coburg-Gothaische-Kreditgesellschaft ein Bankinstitut als Hauseigentümer nach. In dieser Zeit dürfte nur noch das Restaurant betrieben worden sein. 1905 erfolgte ein nochmaliger Hausbesitzerwechsel. Damals erwarb der Restaurateur Gottfried Rissland das Anwesen und baute das Lokal nach seinen Vorstellungen um. In dieser Zeit hieß das Lokal „Risslands Gasthaus“. Es entstand ein großer Gastraum mit neuem Eingang an der Ecke zur Theatergasse. Mit den Bauarbeiten war seinerzeit der bekannte Jugendstil-Architekt August Berger betraut. Das Restaurant erhielt fortan einen guten Zuspruch in der Bevölkerung. 1937 erhielt die Gaststätte den Namen „Zum Patrizier“. Unter dieser Bezeichnung ist das Haus den alten Coburgern noch in Erinnerung. Grund für die Namensnennung war die Tatsache, dass dort Bier der Patrizier Bräu AG aus Nürnberg ausgeschenkt wurde. Den Gastraum schmückten zu jener Zeit auch Wandmalereien, welche Sehenswürdigkeiten der Frankenmetropole zeigten. So konnte man unter der Kaiserburg und dem Dürerhaus genüsslich seine Mahlzeit einnehmen. Doch die ruhigen Friedenszeiten waren bald vorbei.

1939 brach der Zweite Weltkrieg aus und das Gebäude wurde in den letzten Kriegstagen, am 8. April 1945, durch einen amerikanischen Bombenangriff zerstört. Besonders der Trakt an der Theatergasse war schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Zwar konnte das Haus noch im gleichen Jahr wieder aufgebaut werden, aber die Gaststätte konnte ihren Betrieb nicht mehr wieder aufnehmen. Das Anwesen wurde von der US-Army beschlagnahmt und diente den einfachen Soldaten, die vornehmlich im sogenannten „Amerika-Haus“ am Schlossplatz ihren Dienst taten, fortan als Kasino. 1948 richteten die Amerikaner in dem Gebäude das „Haus der Jugend“ ein. Hier sollten die jungen Coburger mit der amerikanischen Kultur vertraut gemacht werden. Diese Jahre gingen nicht spurlos an der Bausubstanz vorüber. Als die Amerikaner 1951 das Anwesen an den ursprünglichen Eigentümer zurückgaben, waren die Räume stark renovierungsbedürftig.

Das Grundstück ging in der Folgezeit in den Besitz des Kaufmanns Walter Schaff über, der in den Räumen des Erdgeschosses ein Waren-Kredithaus eröffnete. Die Kunden hatten hier die Möglichkeit, Waren die sie einkauften, nicht sofort bezahlen zu müssen, sondern durch einen Kredit in Raten abzustottern. Zu den umfangreichen Geschäftsräumen zählte auch das Ladengeschäft des Gebäudes Grafengasse Nr. 6, welches seit 1864 mit dem Haus am Salzmarkt über die selben Hausbesitzer vereinigt war. Als Geschäftsführer im Warenhaus Schaff fungierte schon in den Fünfziger Jahren Alois Montag. Er übernahm später den Betrieb und führte ihn in seine Glanzzeit in den 1970er Jahren. Die letzten 20 Jahre jedoch, brachten eine Änderung des Kaufkonsums. Das Warenhaus verlor seine Kundschaft an andere größere und modernere Geschäfte. Zudem machte sich die Lage des Unternehmens am Salzmarkt zunehmend negativ bemerkbar. So schloss Ende 2008 das Warenhaus Montag, zuletzt in der Grafengasse Nr. 6 ansässig, für immer seine Pforten. Das Gebäude am Salzmarkt hatte es schon zuvor verlassen. Es erfolgt seither eine Grundsanierung des Hauses, das nach dem Abschluss der Arbeiten wieder seinen alten Namen erhalten soll – Haus Bellvue.

Fotos
Bild 1: Das Haus Bellvue im Jahre 2009 (Foto: Christian Boseckert)
Bild 2: Ansicht des Restaurants "Bellvue" um die Jahrhundertwende (Sammlung Christian Boseckert)


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RE: Der Hotel-Gasthof Bellvue am Salzmarkt (Beitrag vom 05.09.2009)

#2 von Jürgen , 04.09.2009 11:20

Toller Bericht, Christian! Das Warenhaus Schaff/Montag kannte ich noch. War Montag nicht der Schwiegersohn von Schaff? Schaff hatte aber meines Wissens auch in Dörfles-Esbach eine Filiale. Das Hauptgeschäft von Schaff dürften die Flüchtlinge - hauptsächlich aus der Ostzone - gewesen sein.


LG
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RE: Der Hotel-Gasthof Bellvue am Salzmarkt (Beitrag vom 05.09.2009)

#3 von gerd , 05.09.2009 15:35

Die Aufnahmen welche Borneff dort gemacht hatte sind ja bekannt und waren auch hier schon im Forum zu sehen.Erinnern wir uns,das zwischen dem Anwesen Montag und der "Loge" jahrelang eine Baulücke bestand die dann endlich überbaut wurde. In den 90er Jahren?
Das auf dem Foto links zu sehende beschädigte Haus(mit Balken notdürftig gestützt) wurde ja ebenfalls abgetragen und dort ist später der Neubau der "Josiasbar"(?) entstanden.


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RE: Der Hotel-Gasthof Bellvue am Salzmarkt (Beitrag vom 05.09.2009)

#4 von gerd , 05.09.2009 15:39

Da ist mir noch ein Erlebnisbericht einer Anwohnerin in Erinnerung,die während des Angriffs im Hauseingang von Montag stand, während die Bombe fiel.Zu irgendeinem Jubiläum stand das in den Tageszeitungen...-50 Jahre Kriegsende 1995 oder...???Hat jemand evtl. noch den Bericht?Hat es damals eigentlich Tote gegeben?


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RE: Der Hotel-Gasthof Bellvue am Salzmarkt (Beitrag vom 05.09.2009)

#5 von Christian , 05.09.2009 17:58

Ja gab es. Ich kann mich entsinnen einen Totenschein gelesen zu haben, der über eine Frau handelte, die unter den Trümmern des Hauses Theatergasse 2 (direkt hinter dem Warenhaus Montag) lag. Es war für mich etwas schockierend, wie nüchtern der Arzt den Totenschein ausgefüllt hat. Das sah man deutlich an der Beschreibung der Leiche. Aber das war ne andere Geschichte.

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RE: Der Hotel-Gasthof Bellvue am Salzmarkt (Beitrag vom 05.09.2009)

#6 von Christian , 05.09.2009 18:07

Nach Karl Borneff kamen im Hause Theatergasse 2 insgesamt 5 Personen ums Leben. Da die Bomben an einem Sonntag fielen, waren viele Hausbewohner nicht anwesend. Im gegenüberliegenden Haus Theatergasse 3 (ehemals Josias-Stüble) kamen 2 Menschen ums Leben. Borneff, selbst in der Großen Johannisgasse wohnend, erlebte den Bombenangriff von seinem Garten im Heckenweg aus. Deutlich sah er wie die amerikanischen Flieger die Bomben über der Stadt herabließen. Auch die Explosionen konnte er mit bloßem Auge erkennen.

Mehr darüber hat die Historische Gesellschaft 1995 in den Coburger Geschichtsblätter veröffentlicht. Dazu Bilder von zerstörten Häusern, Zeitzeugenberichte und das Meldebuch der Freiwilligen Feuerwehr vom April 1945.

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