Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#1 von Christian , 22.01.2010 11:46

Große Veränderungen werden sich dort ab 2011 anbahnen. Die Rede ist von den Gebäuden des ehemaligen WEKA-Kaufhauses in der Spitalgasse. Nachdem an anderer Stelle bereits über den Gasthof „Zum Bären“ und dessen Geschichte gesprochen wurde, soll es nun um das andere WEKA-Gebäude in der Spitalgasse gehen. Dieses ist nicht wie der „Bären“ der Abrissbirne zum Opfer gefallen, sondern erfreut mit seiner barocken Fassade noch heute die Coburger. Die Geschichte des hier beschriebenen Hauses Spitalgasse Nr. 12 geht bis ins Jahr 1403 zurück, als ein Eberhard Vogler das Ratslehen in seinem Besitz hatte. Betrachtet man sich die Häusergeschichte weiter, so muss festgestellt werden, das dort wohl hauptsächlich vermögende Kaufleute ansässig waren. Verwundern kann dies kaum – war doch die Spitalgasse schon in frühester Zeit das Zentrum des Coburger Handels. In diesem Zusammenhang interessiert uns aber nur eine Familie, nämlich die Kaufmannsfamilie Rieth. Diese hatte gegen Ende des 17. Jahrhunderts bereits ein beträchtliches Vermögen verdient. Seit 1664 in der Spitalgasse 12 ansässig, war die Familie Rieth auch für ihre Wohltätigkeit bekannt. 1688 zum Beispiel, stiftete die Witwe des Kaufmanns Georg Friedrich Rieth eine neue Orgel für die Heiligkreuzkirche. Es war demnach auch Geld für ein repräsentatives Wohnhaus da. 1697 gelangte das Anwesen in den Besitz des Handelsmanns Johann Martin Rieth, dem Sohn des oben genannten Georg Friedrich Rieth. Dieser plante das alte Wohnhaus abzureißen und an dessen Stelle ein neues Gebäude im barocken Stil zu errichten. Als Baumeister für dieses Unternehmen gewann er vermutlich die Gebrüder Lucchese aus Italien. Das Rieth ausgerechnet diese beiden Stuckateure mit der Ausgestaltung seines Wohnhauses beauftragte war wohl nicht zufällig. Beide waren am Wiederaufbau von Schloss Ehrenburg beteiligt, das 1690 einer Feuersbrunst zum Opfer viel. Von ihnen stammen dort die Stuck-Elemente der Hofkirche und des Riesensaals. Die Barockfassade in der Spitalgasse gilt daher als das einzige Coburger Werk der Brüder, das nicht vom Herzogshaus in Auftrag gegeben wurde. Das neue Gebäude besaß vier Stockwerke, zwei Keller, zwei Gewölbe, acht Stuben und einen Stall. Am Hauseingang stellte man zwei Karyatide (Riesengestalten) auf, welche über zwei Jahrhunderte das Gesicht der Spitalgasse prägten. Bis 1719 blieb das prächtige Anwesen im Besitz der Familie Rieth. Danach folgten weitere Kaufmannsfamilien als Hauseigentümer. 1893 erwarb die Firma K. M. Fechheimer & Co. Manufaktur- und Modewaren, Damen- und Kinderkonfektion sowie Wäscheausstattung, das Anwesen. Die Inhaber des Geschäfts, Julius Blüth und Hugo Fechheimer, waren jüdischen Glaubens, was zur Schließung des Geschäfts im März 1933 mit beitrug. Nachdem beide im Frühjahr 1933 von den Nationalsozialisten schwer misshandelt wurden, gingen beide in das niederländische Exil. Die Firma existierte fortan nur noch auf dem Papier und wurde schließlich liquidiert und das Haus zwangsversteigert. Den Zuschlag erhielt die Coburger Sparkasse, die es 1939 an den Kaufmann Carl Hartung veräußerte, der dort ein Strumpfwarengeschäft eröffnete. Die Firma Hartung existierte bis in die 1960er Jahre hinein. Danach zog in die Geschäftsräume das „Kaufhaus zum Mohren“ ein, das 1958 im Nachbarhaus Spitalgasse Nr. 14 eröffnet wurde. Die weitere Ausdehnung des Kaufhauses forderte Anfang der 1970er Jahre einen kompletten Neubau. Geplant war dabei der Abbruch der Häuser Spitalgasse 12 und 14, wobei auch die schöne Barockfassade zerstört werden sollte. Dies erregte den Widerstand der Coburger Bevölkerung. Es wurden Unterschriften gesammelt und Eingaben an den Stadtrat gemacht. Besonders der damalige Stadtheimatpfleger, Prof. Adalbert Bringmann, setzte sich vehement für dieses „vollständigstes Barock-Gebäude Coburgs“ (nach Jürgen Erdmann) ein, wofür er massiv kritisiert wurde. Doch die Proteste hatten Erfolg. Zwar wurden 1974 beide Häuser abgerissen, doch musste die Barockfassade am neuen Gebäude wieder angebracht werden. Ferner installierte man im 2. Obergeschoss eine Stuckdecke aus dem Altbau in die Verkaufsräume mit ein. Bringmann selbst erlebte diesen Erfolg nicht mehr, denn er starb bereits 1972. Ihm ist es mit zu verdanken, dass dieses schöne Haus nicht dem Abbruchwahn zum Opfer gefallen ist. Zum Opfer gefallen sind jedoch bei diesem Neubau die beiden Karyatiden. Diese, nach Georg Voß „geringen Arbeiten des Barockstils“, barg der Bauunternehmer Brockardt von der Baustelle und stellte die beschädigten Figuren in seinem Garten in Finkenau bei Coburg auf. Die heute dort stehenden Riesengestalten sind Kopien, die Ende der 1980er Jahre aufgestellt wurden. Als Kaufhaus kann das Gebäude Spitalgasse 14 ebenfalls viel erzählen – von der großen Einweihung 1975, dem Konkurs des Kaufhaus „Zum Mohren“ im Jahre 1983 und dessen Nachfolger, der WEKA, die am 31.12.2009 ihre Pforten schloss. Es wird interessant sein, welche Geschäfte in Zukunft in der Spitalgasse 12 anzutreffen sein werden.

Bildquellen:
1. Das Haus Spitalgasse 12 (Foto: Christian Boseckert, 2007)
2. Einer der Karyatiden im Jahre 1906 (Sammlung: Christian Boseckert)
3. Das Haus Spitalgasse 12 in den 1920er Jahren (Sammlung: Christian Boseckert)

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RE: Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#2 von Stefan , 22.01.2010 12:17

Großartig. Danke!

 
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RE: Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#3 von Jürgen , 22.01.2010 13:49

Klasse Christian! Ein sehr interessanter Bericht!


LG
Jürgen

... unser Coburg ist doch einzig schön ...

Jürgen  
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RE: Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#4 von faraway , 23.01.2010 05:12

Hallo, Christian,

ein interessanter Beitrag u. sehr gut gemacht!

Ich habe dazu eine Frage: Du erwaehnst einen Juergen Erdmann, der anscheinend ueber dieses Gebaeude geschrieben hat. Als wir im Hirschfeldring wohnten, lebte direkt ueber uns im 1. Stock eine Familie Erdmann mit 2 Soehnen. Einer der Jungs hiess Juergen. Koennte das derselbe sein? Das waere interessant. Wenn er das ist, wuesste ich gerne mehr ueber seine Laufbahn. Den Vater sehe ich noch wie heute vor mir. Er wurde von uns immer die "graue Eminenz" genannt, weil er eben genau so aussah! Was der Mann fuer ein Haltung hatte!!

Bin auf Deine Antwort gespannt.

Gruss, Angelika

 
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RE: Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#5 von Zugereister , 23.01.2010 14:44

Ich heiß zwar nicht Christian, antworte aber trotzdem mal vorab
Jürgen Erdmann wurde 1937 geboren, promovierte 1967 in Würzburg mit dem Thema "Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923". Er war vor seinem Ruhestand Direktor der Coburger Landesbiliothek. Gruß Zugereister

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RE: Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#6 von Christian , 23.01.2010 14:55

Besser hätte ich es nicht machen können.

Erdmann war, wie schon gesagt, von 1969 bis 2002 Direktor der Coburger Landesbibliothek und hat mehrere geschichtliche Aufsätze verfasst. Sein bekanntestes Werk ist das bereits erwähnte Buch "Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923".

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RE: Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#7 von faraway , 23.01.2010 21:24

@ Christian u. Zugereister,

vielen Dank fuer Eure Antworten auf meine Frage. Dem Alter nach koennte er es schon gewesen sein. Ist schon interessant. Haette nie gedacht, durch das Forum einmal ueber ihn zu hoeren.

Herzlichen Gruss,
Angelika

 
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RE: Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#8 von Zugereister , 24.01.2010 09:23

Hallo Angelika,
vielleicht erkennst Du ihn ja wieder
http://www.fw-coburg.de/fwcoburg.asp?iid=48

Gruß Zugereister

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RE: Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#9 von gerd , 24.01.2010 12:26

Zu Jürgen Erdmann:
In seinem Buch "Coburg,Bayern und das Reich 1918-1923 " kommen interessante geschichtliche Ereignisse,Coburg betreffend zum Vorschein...!Ich nehme das Buch gerne in Abständen zur Hand!....Speziell die Passagen über Herzog Carl Eduard sind sehr aufschlussreich!


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zuletzt bearbeitet 24.01.2010 | Top

RE: Aus der Geschichte des Barock-Hauses Spitalgasse 12 (Beitrag vom 22.01.2010)

#10 von faraway , 24.01.2010 18:10

Zitat von Zugereister
Hallo Angelika,
vielleicht erkennst Du ihn ja wieder
http://www.fw-coburg.de/fwcoburg.asp?iid=48
Gruß Zugereister



Vielen Dank fuer das Bild. Natuerlich kann ich da nicht sicher sein, es ist immerhin fast 50 Jahre her seit ich den Juergen gesehen habe. Aber moeglich ist es schon. Der Juergen von damals war ein hochgewachsener, schlanker Mensch, auch im Gesicht, so wie der Mann im Bild. Ich muesste ihn fragen koennen ob er einmal dort gewohnt hat.

Gruss,
Angelika


 
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