Das Coburger Rathaus

#1 von Christian , 02.05.2022 08:42

Heute einige Geschichten und Beiträge zum Coburger Rathaus

Jeder kennt die Figur des Heiligen Mauritius auf dem Giebel des Rathauses als „Bratwurstmännle“. Der Ursprung dieser Bezeichnung ist den Coburger aber unbekannt. Sie taucht erstmals 1840 im Gedicht „Das Westenknöpfen“ des Coburger Journalisten Friedrich Hofmann auf.
Der Begriff stammte wohl aus der zunfthandwerklichen Kultur. Konkret steht er in Zusammenhang mit einem Handwerkerscherz der Coburger Metzger. Es war nämlich üblich, unerfahrene Lehrlinge beim Wurstmachen zum fiktiven Bratwurst-Längen-Maß aufs Rathaus zu schicken. Dort wurden in früherer Zeit tatsächlich die Längen- und Hohleichmaße aufbewahrt. Im Fall des Bratwurstmaßes musste der Lehrling vor Ort im Rathaus erkennen, dass er von seinem Lehrherrn und den Gesellen hereingelegt wurde und es ein solches Maß gar nicht gibt. Er musste blamiert wieder zu seinem Arbeitsplatz zurückkehren. Die Vorstellung, dass „Bratwurstmännle“ überwache mit seinem Stab die Länge der auf dem Markt gebratenen Bratwürste, ist historisch nicht nachweisbar. Die Lebensmittelgesetze der Frühen Neuzeit, hier die Casimirianische Taxordnung von 1623, legten nur das Gewicht einer Bratwurst fest.
1939 stürzte die aus dem Jahr 1752 stammende bronzene Mauritiusfigur nach einer Sturmnacht zu Boden. Aus ideologischen und rassistischen Gründen wurde die Plastik von den Nationalsozialisten nicht wieder aufgestellt, sondern in den städtischen Bauhof verbracht. Dort entdeckte man sie 1949 unter einem Schrotthaufen. Die Figur wurde daraufhin renoviert und mit finanzieller Unterstützung der Coburger Bratwurstfrauen wieder auf dem Rathausgiebel aufgestellt.


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RE: Das Coburger Rathaus

#2 von Christian , 03.05.2022 08:25

Wo gibt es in Coburg eine Fürstengalerie? Auf der Veste? Im Schloss Ehrenburg? Nein, im Rathaus. In der 1750 eingerichteten Regimentsstube hängen elf Fürstenportraits, die Coburger Herrscher ab dem Spätmittelalter zeigen. Nach der Überlieferung sind die Bilder ein Geschenk des Herzogs Franz Josias gewesen. Auf dem Foto ist links das Staatsportrait Herzog Johann Casimirs (Regierungszeit 1586 bis 1633) zu sehen; über der Türe finden sich Darstellungen dreier sächsischer Kurfürsten, unter denen sich der Lutherbeschützer Friedrich der Weise (Regierungszeit 1486 bis 1525) befindet; dem folgt das Staatsporträt von Casimirs Vater, Herzog Johann Friedrichs des Mittleren (Regierungszeit 1554 bis 1567). Das jüngste Gemälde zeigt den vorletzten Coburger Herzog Alfred, der im Jahre 1900 starb.
Die Regimentsstube selbst war ursprünglich ein multifunktionaler Raum. Um 1900 nutzte es der Oberbürgermeister als Amtszimmer, das Standesamt als Trauzimmer, und der Stadtrat als Sitzungsraum. Das hatte zur Folge, dass das Stadtoberhaupt öfters unfreiwillig sein Büro räumen musste, wenn eine standesamtliche Trauung anstand. Im Rathaussaal war seinerzeit das Stadtmuseum untergebracht und stand für eine verwaltungstechnische Nutzung nicht zur Verfügung. Eine zentrale Rolle spielte die Regimentsstube am Ende des Zweiten Weltkriegs als der kommissarische Oberbürgermeister Alfred Sauerteig dort die Übergabe der Stadt an die amerikanischen Streitkräfte vollzog. Bis 2020 wurde der Raum für diverse Senatssitzungen genutzt. Aufgrund der Corona-Pandemie sind diese inzwischen in den Rathaussaal verlegt worden. Aktuell dient die Regimentsstube hauptsächlich dem Oberbürgermeister als Empfangszimmer.


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RE: Das Coburger Rathaus

#3 von Christian , 04.05.2022 08:17

Um der Bedeutung Coburgs als „erste nationalsozialistische Stadt Deutschlands“ Nachdruck zu verleihen, plante die NS-Stadtspitze eine umfangreiche Neugestaltung der Innenstadt. Dazu gehörte ab 1936 die Erweiterung des Rathauses Richtung Rosengasse. Zahlreiche Planzeichnungen haben sich hierzu erhalten. Der hier vorgestellte Entwurf stammt vom Architekten Josef Bischof. Dieser lehnt architektonisch an das gegenüberliegende Stadthaus aus der Zeit Herzog Johann Casimirs an. Damit sollte symbolisch eine politische Ebenbürtigkeit mit der ruhmreichen Vergangenheit des Fürstentums Coburg geschaffen werden.
Der zur Rosengasse hin geplante Erker sollte eine Plastik „Kopf des Führers“ in Hochrelief enthalten. Daneben durften Sinnsprüche Hitlers in Bezug auf Coburg wie „Mit Coburg habe ich Politik gemacht“ oder „Blut und Boden sind die Grundlagen der Nation“ nicht fehlen. Neben Hitler sollte auch der erste NS-Bürgermeister Franz Schwede mit einem Relief verewigt werden. Ein Entwurf des sogenannten „Führererkers“ hat sich bis heute im Bundesarchiv in Berlin erhalten.
Das Bauprojekt wurde 1938 Adolf Hitler vorgestellt. Dieser bestätigte die vorgelegten Pläne und wies die Oberaufsicht für den Umbau des Rathauses seinem Architekten Albert Speer, damals Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Berlin, zu. Im Sommer 1939 begannen schließlich die Bauarbeiten mit der Entkernung des heutigen Sparkassengebäudes. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden die Arbeiten alsbald eingestellt. Sie sollten erst nach dem erfolgreichen Ende des Krieges wieder aufgenommen werden. Dazu kam es aber nicht. Der Umbau wurde 1945 zu den Akten gelegt.


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RE: Das Coburger Rathaus

#4 von Christian , 05.05.2022 08:43

Das Coburger Rathaus leidet gegenwärtig unter Platzmangel. Umso mehr lassen uns die Zustände vor 120 Jahren in dem Gebäude den Kopf schütteln. Dort waren zahlreiche Institutionen und Behörden untergebracht.

Im Erdgeschoss war die Polizeiwache mit den Arrestzellen untergebracht, die an das finstere Mittelalter erinnerten. In weiteren Räumen waren die Feuerwehrgeräte und die Handspritzen untergestellt. Die räumlichen beengten Kassenlokale der Sparkasse und der Stadtkasse waren im ersten Stock durch einen engen Treppenturm erreichbar. Das heutige Haupttreppenhaus gab es 1900 noch nicht. Katastrophal waren auch die Abortverhältnisse im damaligen Rathaus. Die mit Tonnen versehenen Aborte befanden sich nur im Erdgeschoss und waren für alle im Rathaus beschäftigten Personen bestimmt. Sie waren nur durch die Polizeiwache zugänglich und standen daher unter polizeilicher Beobachtung. Die heutige Regimentsstube entsprach in dieser Zeit einem Multifunktionsraum. Sie war Dienstzimmer des Oberbürgermeisters, Tagungsort des Stadtrates und Geschäftszimmer des Standesbeamten. Fanden Trauungen statt, musste der OB für Stunden seinen Arbeitsplatz verlassen und versuchen, zeitweise als Gast in anderen Räumen unterzukommen. Der große Rathaussaal diente seinerzeit als Sitz für das Stadtmuseum und konnte deshalb für Sitzungen nicht genutzt werden. Katastrophal war auch die Heizanlage. Beißender Qualm durchzog häufig das ganze Gebäude. Die beiden Schornsteine, die nicht einmal bis zum Erdgeschoss reichten, waren für Holzfeuerung bestimmt und eigneten sich nicht für die Verbrennung von Kohle.

Diese Zustände waren für den damaligen Coburger Oberbürgermeister Gustav Hirschfeld haltlos. Er verfasste eine Denkschrift und forderte darin den Umbau des Rathauses. Dem kam der Stadtrat im Jahr 1900 nach. Fünf Jahre später waren die Umbauarbeiten abgeschlossen. Einige Einrichtungen wie das Feuerwehrdepot und die Stadtpolizei wurden dabei ausquartiert. Es blieben aber noch zahlreiche Behörden im Rathaus.

1927 sah die Raumaufteilung so aus: Im Erdgeschoss die Städtische Sparkasse, im 1. Obergeschoss das Versicherungs-, Rechts-, Sozial-, Standes- und Fremdenverkehrsamt sowie die Büros der Bürgermeister, die Kanzlei des Hauptamtes, die Stadtkämmerei und drei Sitzungszimmer; im 2. Obergeschoss das Bau- und Wohnungsamt mit einem Sitzungszimmer sowie das Stadtmuseum. Die hier genannten Institutionen verfügten zusammen über 31 Zimmer. Aus heutige Sicht ist diese Aufteilung unvorstellbar


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RE: Das Coburger Rathaus

#5 von Christian , 06.05.2022 08:38

Hinter dem Rathaus befand sich einst die Gaststätte Zollhof, die bereits 1610 gegründet wurde. Der Name stammt aus dem Mittelalter, denn hier mussten die auswärtigen Kaufleute ihre Zölle in Form von Naturalien abliefern. Die Waren wurden dann im Dachboden des Rathauses gelagert. Mancher Angestellter oder Beamter des Rathauses und der Sparkasse holte sich sein Frühstück im Zollhof. Den Dienststunden schloss sich am Abend oft noch eine Stunde in gemütlicher Runde an. Auch die Stadträte sollen sich häufig nach einer anstrengenden Sitzung noch zu einer erholsamen Sitzung im Zollhof eingefunden haben. Das Lokal wurde 1975 geschlossen und abgerissen. An gleicher Stelle entstand der Neubau der Sparkasse.


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RE: Das Coburger Rathaus

#6 von Christian , 07.05.2022 08:54

Der Rathaussaal

Mit seinen ungewöhnliche Abmessungen von 27 x 13 Metern ist der Saal im Obergeschoss des Rathauses einer der größten profanen Festräume der Renaissance-Architektur in Thüringen und Franken.

Die mächtige, von drei Holzsäulen und starken Unterzügen gestützte Balkendecke wurde 1598 vollendet.

In einer Fensternische wird der Kopf einer Statue des Heiligen Mauritius bewahrt, die um 1450 entstanden, im Jahre 1945 an der Moritzkirche bis auf diesen Rest zerstört und dort durch eine Kopie ersetzt wurde.

Einige Gemälde aus der Reihe der Coburger Schützenbilder sind über die Wände verteilt, darunter ein Bildnis des Herzogs Johann Casimir (1564 - 1633), der in diesem Saale alljährlich an einem Festmahl teilnahm, das ihm zu Ehren von der Bürgerschaft gegeben wurde.

An der Marktseite des Raumes ließ der Rat der Stadt für den Fürsten eine Stube abteilen und "mit dem Erker dergestalt ausputzen und meublieren, damit Ihro Hochfürstliche Durchlaucht solche zu einem Tafel-Gemach, wann sie bisweilen auf das Rathaus zur Beschauung eines Jahrmarktes oder sonsten kommen, gebrauchen könnte".

(Text: Herbert Appeltshauser)


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RE: Das Coburger Rathaus

#7 von Kilroy , 08.05.2022 18:46

An den Zollhof kann ich mich noch gut erinnern.
Da waren wir , während des Studiums am damaligen Polytechnikum, abends öfter.
Ungespundetes Bier und leckeres Tatar.

 
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RE: Das Coburger Rathaus

#8 von Stammbus , 09.05.2022 09:16

Was ist an den Abmessungen des Rathaussaales so ungewöhnlich?

Und war die Morizkirche 1945 unmittelbar in die Kriegshandlungen einbezogen?

 
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RE: Das Coburger Rathaus

#9 von Christian , 10.05.2022 08:38

Über die Abmessungen kann ich nichts sagen. Der Text stammt nicht von mir. Ich weiß nicht mal, was eine gewöhnliche Größe wäre

Nach meinen Unterlagen wurde die Morizkirche zwar ernsthaft beschädigt, aber nicht total zerstört wie zum Beispiel die Häuser in der Theatergasse oder das Landgericht in der Ketschendorfer Straße.


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RE: Das Coburger Rathaus

#10 von Rolf Metzner , 02.06.2022 09:01

NP vom 02.06.2022:

Streit ums Bratwurstmännle „So ein Unsinn“
David Büttner 01.06.2022 - 17:30 Uhr

Bratwurstmännle.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Seit 400 Jahren soll das beliebte Bratwurstmännle auf dem Rathaus stehen – so wird es dieser Tage in Coburg kolportiert. Der Stadtheimatpfleger widerspricht vehement.

400 Jahre sind ein fürwahr gewaltiger Zeitraum. So lange soll das sogenannte Bratwurstmännle, eigentlich handelt es sich bekanntermaßen um eine Darstellung des Heiligen Mauritius, bereits auf dem Rathaus von Coburg thronen. Zunächst angebracht auf einem kleinen Turm, später auf dem vorderen Giebel, wo die Figur noch heute steht. Am 1. Juni 1622 soll die Mauritius-Darstellung auf das Rathaus gekommen sein – so zumindest wurde es am Mittwoch dieser Woche kolportiert, als zwei geschichtsbegeisterte Stadtführer den 400. Geburtstag des beliebten Bratwurstmännles bejubelten.

Christian Boseckert, promovierter Historiker, Stadtheimatpfleger und stellvertretender Vorsitzender der Historischen Gesellschaft Coburg, reihte sich allerdings nicht in die Liste der Gratulanten ein. Stattdessen kommentierte der 41-Jährige auf Facebook: „Also ich weiß nicht, wer so einen Unsinn in die Welt setzt, aber dieses Bratwurstmännchen steht erst seit 1752 auf dem Giebel des Rathauses.“
„Nicht auf dem neuesten Stand der Forschung“

Die Neue Presse bat Boseckert, der zu den führenden Forschern zur Stadtgeschichte zählt, um eine nähergehende Einschätzung. „Bei der 1622 aufgestellten Figur handelt es sich nicht um das heutige ‚Bratwurstmännle’“, schreibt der Stadtheimatpfleger. „Dieses wurde erst 1752 nach einem Umbau auf dem Giebel des Rathauses aufgestellt.“ Bei der ursprünglichen Figur habe es sich um einen geharnischten Mann mit einem stehenden Löwen gehandelt, diese Gruppe habe sich auf der Spitze des Rathausturmes befunden. „Diese Figur dürfte nur ungefähr so ausgesehen haben, wie die sich heute noch auf den Giebeln des Stadthauses befindlichen Statuen.“

Darüber hinaus sei die Figur, nachdem sie im Jahr 1939 in einer Sturmnacht zu Boden gestürzt war, aus ideologischen und rassistischen Gründen von den Nationalsozialisten auch nicht wieder aufgestellt, sondern in den städtischen Bauhof verbracht worden. Dort habe man sie erst 1949 unter einem Schrotthaufen wiederentdeckt, renoviert und erneut aufgestellt. Boseckert führt diese Fehler zurück auf die Ausführungen des Heimatforschers Walter Schneier aus dem Jahr 1985. „In der Zwischenzeit ist diese Darstellung durch die Forschungen Hubertus Habels aus dem Jahr 2006 überholt und entspricht nicht mehr dem neuesten Stand der Forschung.“


 
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zuletzt bearbeitet 02.06.2022 | Top

   

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