Wie es so ist, wenn man sich mit einem Thema aus der Vergangenheit näher befasst, müssen bei weiteren Zeitzeugenbefragungen bisherige Ergebnisse ergänzt und/oder relativiert werden.
Ich habe gestern zwei Zeitzeugenbefragungen zur Radarstellung „Stachelschwein“ durchgeführt; darunter ein ca. zweistündiges Gespräch mit einem sehr zuverlässigen und erinnerungsstarken Zeitzeugen.
Folgende interessante Informationen erhielt ich dabei zur Radarstellung und zum Drumherum:
- Es waren deutlich mehr als 4 Gebäude/Baracken, wie ich bisher angenommen hatte (dies betrifft sowohl die Unterkunfts-, als auch die Funktionsbaulichkeiten).
- Bisherige Zeitzeugenaussagen, dass die Gebäude von noch vor Ort befindlichen deutschen Soldaten angezündet wurden, als die Amerikaner schon in Watzendorf einmarschierten, standen für mich im Widerspruch zu Erkenntnissen, dass insgesamt 4 Baracken demontiert und an anderer Stelle wieder aufgebaut wurden. Gestern habe ich erfahren, dass Beides richtig ist: ein Teil der Gebäude hat gebrannt, 4 unversehrte wurden aber an anderer Stelle wieder aufgebaut: darunter 3 Baracken in Ziegelsdorf zur Unterbringung schlesischer Flüchtlinge, die in der Landwirtschaft des Rittergutes arbeiteten, und eine davon als Schuppen in einem landwirtschaftlichen Anwesen in Neuses an den Eichen.
- Es hat in der Stellung sogar einen Kinoraum gegeben; hierzu berichtet der Zeitzeuge, dass die Kinder der umliegenden Dörfer einmal dorthin eingeladen wurden zur Filmvorführung: „Das tapfere Schneiderlein“.
- Es gab - das war für mich völlig neu - Luftverkehr in der Stellung „Stachelschwein“: Auf der Wiese zwischen Wasserhochbehälter und Radaranlagen landete gelegentlich eine Fieseler Storch.
- Gestern wurde mir durch zwei Zeitzeugen die genaue Lage des Brunnens im Waldstück „Rotholz“ beschrieben. Es sei nicht einfach ein runder Brunnenschacht gewesen, sondern ein abgedecktes Bassin mit einer Art Bunker darunter, im dem sich die eigentliche Brunnenanlage befunden habe (von der das Wasser in den Hochbehälter gepumpt worden sei). Beide Zeitzeugen haben sich bereit erklärt, mir bei trockenerem Wetter die exakte Lage des Brunnens zu zeigen.
- Der große Suchscheinwerfer hatte wohl eine etwas andere Position, als von einem vorherigen Zeitzeugen beschrieben, er stand mehr in südlicher Richtung der Radarstationen am Waldrand (Flurbezeichnung "Thiereller").
- Das Vorhandensein einer Radarstation „Freya“ konnte mir auch dieser Zeitzeuge nicht bestätigen.
- Der massenhafte Abwurf von Staniolstreifen („Düppeln“) durch feindliche Bomber im Umfeld der Radarstation „Stachelschwein“ wird auch diesmal berichtet.
- Von anderer kompetenter Stelle habe ich noch erfahren, dass die 3 benachbarten Radarstationen („Stachelschwein“ bei Neuses a.d.E., „Made“ in Mendhausen bei Römhild und „Wildschwein“ in Euerbach bei Schweinfurt; Flakhelfer in dieser Stellung waren übrigens Graf Alram zu Ortenburg, der spätere Coburger Kreisrat und Vizepräsident des bayerischen Landtages Möslein und noch 2 weitere Coburger) in sog. Triangulation zusammen arbeiteten, um deutsche Abfangjäger auf die feindlichen Bomberpulks anzusetzen, die sich im Angriff auf Nürnberg, Dresden oder Leipzig befanden.
Hier eine in diesen Radarstationen verwendete "Flugansagekarte": 
- Die Stellung „Stachelschwein“ wurde offiziell am 07.04.1945 mit einem LKW-Konvoi geräumt, die Amerikaner standen bereits in Seßlach. Es blieben aber noch deutsche Soldaten bei der Stellung, sie zündeten ja am nächsten Tag das Lager an. Ein deutscher Soldat wurde von den Amerikanern in der Stellung erschossen. Etliche deutsche Soldaten trieben sich noch tagelang in den benachbarten Wäldern herum und entledigten sich ihrer Waffen, Stahlhelme, Uniformen und Ordensabzeichen (die Kinder haben damals diese Gegenstände aufgesammelt).
- An den beiden Radarstationen (Würzburgriesen) waren Sprengkapseln angebracht, die aber nicht mehr gezündet wurden, weil die Amerikaner schneller kamen, als erwartet (die Amerikaner kamen damals über Seßlach, Watzendorf, Neuses an den Eichen – dort waren sie auch einquartiert – und rückten dann auf Rossach vor).
- Das weibliche Personal der Stellung sei nach deren Aufgabe bei Bauern der umliegenden Dörfer untergebracht/versteckt worden.
- In der Stellung blieben damals viele Waffen, Munition und natürlich technische Geräte zurück, die von der Bevölkerung (auch Kindern) geplündert wurden. Gerd weiß z.B. aus zuverlässiger Quelle, dass ein Stromaggregat zur Firma Escora nach Coburg und das andere zur Firma Debus in Untersiemau verbracht wurde.
- Ich habe natürlich auch diesen Zeitzeugen, wie alle anderen, nach alten Fotos von der Radarstellung gefragt: Damals habe im Dorf noch niemand einen Fotoapparat gehabt; seien Fotos benötigt worden, habe man den Uhlenhuth aus Coburg her bestellt.
Der gestrige Zeitzeuge hat mir noch weitere interessante Informationen aus der damaligen Zeit gegeben, die zwar nicht direkt mit der Radarstellung „Stachelschwein“ zusammen hängen, die es m.E. aber auch wert sind, fest gehalten zu werden:
- Als die Amerikaner bereits in Seßlach waren, hätten die Bauern der Eigensdörfer noch schnell die Kartoffeln in den Feldern verbuddelt, aus Angst, die Amis würden ihnen die Saatkartoffeln weg nehmen.
- Der Zeitzeuge ist als Kind auch zur Absturzstelle des englischen Lancaster-Bombers zwischen Ahorn und Hohenstein gerannt und bestätigt die von mir erkundete Absturzstelle hinter dem Hühnerberg. Die 8 toten englischen Soldaten seien noch im Bomber (der nicht gebrannt habe) gehangen; der Anblick sei für sie als Kinder sehr grauselig gewesen und sie seien schnell wieder heim gerannt.
- Bei Meschenbach sei eine deutsche JU 88 notgelandet; das sei ein grosses Spektakel gewesen und die ganze umliegende Bevölkerung habe sich dort eingefunden.
- Der Zeitzeuge war damals beim Jungvolk, Gruppe 8 Eigensdörfer (11- 14-jährige Buben). Sie haben gegen Ende des Krieges an der höchsten Stelle der Straße zwischen Neuses a.d.E. und Watzendorf einen Bunker gebaut und rund um die Uhr auf heran nahende Tiefflieger achten müssen, um diese dann schnell zu melden. Von ihrem Bunker aus habe man gut auf die etwas tiefer liegende Radarstellung „Stachelschwein“ schauen können.
- Die Schulungen für das Jungvolk hätten im Bahnhof Rossach stattgefunden. Während einer Schulung habe es einen Tieffliegerangriff auf die Firma Wagner in Untersiemau gegeben; da hätten sie alle raus in die Hecken gemusst.
- Gegen Ende des Krieges sei – unabhängig von den Soldaten in der Radarstellung – noch ein schon recht dezimiertes Rückzugsbattalion in Gossenberg einquartiert gewesen. Man habe die besten Pferde im Dorf requiriert, um Verwundete und Fußkranke Richtung Bayreuth/Hof in Marsch zu setzen. Der Kommandeur des Rückzugsbattalions habe kurz vor Kriegsende zu ihm (dem jetzigen Zeitzeugen) gesagt: "Bub, geh nicht mehr hoch in deinen Beobachtungsbunker; es wird zu gefährlich und es ist eh alles bald vorbei". Als dann die Amerikaner schon in Neuses an den Eichen Quartier bezogen hatten, hätten auf der Bank vor einem Bauernhaus in Gossenberg noch zwei hohe SS-Offiziere in Uniform gesessen (ein plakatives Bild für die damalige hektische Umbruchzeit).
Vielleicht kann Gerd noch Einiges zum Leben und zum Ende der Radarstellung „Stachelschwein“ ergänzen; er ist heute jedenfalls auch noch mal auf Recherche.
Darüber hinaus sind noch zwei weitere Beiträge zu den heute noch vorhandenen Relikten der Radarstellung „Stachelschwein“ vor Ort und an anderen Stellen geplant.
Hier nochmal ein aktualisierter Lageplan der Radarstellung "Stachelschein" (rekonstruiert nach bisherigen Zeitzeugenaussagen):