Warum nicht von Coburgern? Die kennen sich aus und brauchen nur einen Bruchteil der Zeit und der Kosten. Außerdem haben sie fundierte Fachkenntnisse, die sich wer auch immer in dieser Tiefe niemals wird aneignen können.
Der Vergleich Steuerflüchtlinge mit dem notleidenden Haushalt der Stadt Coburg und der Geldverschwendung durch dieses Projekt ist sicher als Scherz gemeint gewesen.
Das es keine Coburger sind, finde ich gut, da man nur so jegliche Befangenheit ausschließen kann, da ja die Mehrheit der Coburger Familien in irgendeiner Form mal mehr mal weniger an der NS Zeit mitgewirkt hat. Schade, dass dies erst so spät beschlossen wurde - damit es niemandem mehr weh tut ? Die Mehrheit der damals Erwachsenen und damit Verantwortlichen dürften wohl nicht mehr leben, die anderen waren ja noch Kinder, d.h. nicht schuldfähig im eigenen Sinne. Ich jedenfalls bin gespannt auf das Buch. Hofffentlich hört es nicht exakt 1945 auf, den die Jahre danach haben es in Sachen Ungerechtigkeit, Vertuschung ect. in sich, wie ich ja schon ein paarmal erwähnt habe...
Es ist ein Fehlschluss zu glauben, dass nur Coburger ihre Geschichte aufarbeiten können. Wenn man dies zu Ende denken würde, dann müsste man sagen, das nur Deutsche die deutsche Geschichte aufarbeiten können. Doch gerade in der Zeit zwischen 1900 und 1950 gibt es von ausländischen Historikern bemerkenswerte Forschungsansätze, bspw. Ian Kershaw oder Christopher Clark.
Auch im Falle Coburgs gibt es hervorragende Publikationen, die von Nicht-Coburgern verfasst wurden, bspw. Thomas Niklas (Das Haus Sachsen-Coburg und Gotha oder Das Herzogtum Sachsen-Coburg und der Beginn des Ersten Weltkrieges), Joachim Albrecht (Avantgarde des Dritten Reiches) oder Rainer Hambrecht (Der Aufstieg des Nationalsozialismus in Mittel- und Oberfranken). Letzterer veröffentlichte das Werk vor seiner Tätigkeit als Leiter des Coburger Staatsarchivs.
Im Falle Herzog Johann Casimirs sind beispielsweise zwei wissenschaftliche Studien von Gerhard Heyl vorhanden, der aus München kam und nur sechs Jahre als Leiter des Staatsarchivs Coburg wirkte.
Jeder gut ausgebildete Geschichtswissenschaftler kann dieses Thema bearbeiten. Man sollte in diesem Zusammenhang auch sagen, dass Coburg keine geschichtliche Entwicklung darstellt, die unabhängig von der Entwicklung in Deutschland zu betrachten ist. Kurzum: Coburg ist keine Insel, sondern vieles lässt sich durch Rückschlüsse über die landesweite geschichtliche Erklärung darstellen. Gerade diese Verknüpfung ist in Coburg bisher nicht beachtet worden.
Zitat von Christian im Beitrag #113Es ist ein Fehlschluss zu glauben, dass nur Coburger ihre Geschichte aufarbeiten können.
Das hat auch albert77 nicht behauptet.
Aber ich widerspreche seiner These, dass es schneller und billiger durch Coburger geht. (Es sei denn, die arbeiten für niedrigere Löhne ).
Im Ernst: Es sind noch lange nicht alle Quellen erschlossen worden, wie sich auch letztes Jahr bei Max Brose gezeigt hat.
Und es geht auch nicht (nur) um schneller und billiger, sondern besser, gründlicher, unbefangener. Alles andere war 70 Jahre, das Ergebnis hat sich letztes Jahr gezeigt.
Man kann Ergebnisse auch durch Weglassen (oder Nichtbeachtung) von Quellen verfälschen.
Mit dem vorhandenen Gewissen geht man aber an diese Quellen nicht unbefangen heran. Es könnte ja den eigenen bisherigen "Erkenntnissen" widersprechen. Zumal sich dann die Frage stellt, warum es noch den Nachholbedarf gibt.
Das Argument, dass für so etwas Geld da ist, aber für soziale Fragen nicht, zählt nicht. Dann könnte man zum einen für vieles Geld einsparen, zum anderen wird damit (nicht bewusst von jedem, lieber albert77) abgelenkt von vielem anderen. Es ist für vieles Geld da, was im sozialen Bereich fehlt, bei ganz anderer Geldverschwendung wird weggesehen, und ganz zu schweigen von den schätzungsweise 160 Milliarden Steuern, die jährlich in Deutschland hinterzogen werden, u.a. weil es zu wenig Steuerfahnder gibt. Obwohl jeder ungefähr 10 mal so viel Geld einspielt, wie er kostet.
Derzeit läuft in Detmold ein neuer Auschwitz-Prozess mit einer bemerkenswerten Berichterstattung und Rechtsbetrachtung, die jahrzehntelang unterblieb. Warum wohl?
Mit dem DDR-Unrecht wurde nicht so lax umgegangen, da wird täglich darüber berichtet. Dass der Umgang mit dem NS-Unrecht erst einmal zaghaft begann, dazu brauchte es der "68er" (ein dämlicher Begriff, in meinen Augen gab es die so nicht, genau so wenig die die Generation Golf, X, Y oder Z - es gibt in jeder Generation unterschiedlich denkende Menschen).
Coburg hat aus Scham länger als andere Städte darüber hinweg gesehen. Ich bin Jahrgang 1952, mein Geschichtsunterricht endete jedes Mal 1933, nichts, aber auch nichts wurde vermittelt, was heute Allgemeingut ist. Obwohl meine direkten Vorfahren auf beiden Elternseiten alle keine PGs waren. Wenn man aber heute die Familiendokumente aus jeder Zeit liest (z.B. Tagebücher), fragt man sich auch unabhängig davon, was die "geritten" hat. Das System damals wirkte weit über den NSDAP-Machtapparat mit seinen Vorfeldorganisationen hinweg.
Und das ist noch lange nicht aufgearbeitet. Aber je länger das hinaus gezögert wird, desto öfters holt es uns ein. Auch das hat die Auseinandersetzung um die Max-Brose-Straße gezeigt.
Erhard, meine Stellungnahme bezieht sich nur auf die Aussage: "Außerdem haben sie fundierte Fachkenntnisse, die sich wer auch immer in dieser Tiefe niemals wird aneignen können." Das ist eben ein Trugschluss, der auf den ersten Blick logisch, aber eben doch nicht korrekt, denn jede wissenschaftliche Arbeit fußt auf zwei Säulen: Quellen (Akten, Zeitungen, etc.) und Sekundärliteratur. Beides muss gelesen, analysiert und bewertet werden. Das Ziel ist ja hier, neue Erkenntnisse an den Tag zu bringen. So gesehen, muss da jeder Bearbeiter, egal ob er aus Coburg oder aus dem restlichen Deutschland (oder vielleicht sogar von außerhalb) kommt, diese Arbeit tätigen.
Die Verquickung mit den Finanzen hatte ich da überhaupt nicht im Blick. Aber soweit stimme ich dir auch zu, dass dieser Zusammenhang hinkt. Es gibt schließlich auch Geschichtsprofessoren (Conze, Büschel) die aus dem Coburger Raum stammen, deren Schaffenskraft aber auch wohl nicht für ein "Appel und ein Ei" zu haben sind.
Natürlich muss wirklich alles gelesen, analysiert und bewertet werden. Keine Frage, seh ich auch so. Nur ist es doch logisch, dass ein in der Materie Fremder dazu länger braucht als Coburger oder andere Autoren, die wesentliche Aspekte schon aufgearbeitet haben ode rkennen und damit im Endeffekt weniger Kosten verursachen. Der/die neue Autor(in) wird sowieso vieles übernehmen und abschreiben. Man sollte sich auch davor hüten, gerade Coburger (weil ja noch viele betroffenen Familien hier leben usw). von vorneherein als nicht geeignet hinzustellen. Damit unterstellt man ihnen indirekt, dass sie voreingenommen sind.
Die SPD, die die Stadt seit Jahrzehnten regiert, hätte das schon längst in Auftrag gegeben müssen. Früher war noch Geld vorhanden, aber da hat man auch kein Interesse daran gehabt, siehe die Diskussion um das Stadtmuseum. Jetzt wo kein Geld mehr da ist, wird unnötig Geld zum Fenster hinaus geworfen, was an anderer Stelle dringend benötigt wird.
Die Vergleiche mit Geldverschwendung an anderer Stelle oder hinterzogenen Steuern usw. ist in dieser Diskussion nur eine Nebelkerze, die die Kosten rechtfertigen sollen.
Das sehe ich, als jemand der als Historiker im akademischen Grad eines Magisters schon bereits zu einem nationalsozialistischen Thema gearbeitet hat, anders. Ein Zeithistoriker (der mit der Materie besonders vertraut ist) braucht nicht mehr Zeit zur Recherche als die hiesigen Geschichtsforscher. Das liegt an drei Gründen:
Erstens ein Zeithistoriker kennt die zeitlichen Abläufe bspw. der Judenverfolgung, Aufstieg der Nationalsozialismus etc. Diese Entwicklungen laufen überall gleich ab. Sie unterscheiden sich nur im zeitlichen Ablauf. (Die einen haben früher damit begonnen, die anderen später) In Coburg wie auch in Deutschland existierte während der Weimarer Zeit eine Ambivalenz zwischen modernen und anti-modernen Denken. Diese Ambivalenz löste sich 1945 zugunsten der Moderne auf. Anhand dieser einen Aussage, kann ein auswärtiger Historiker über den Kontext der deutschlandweiten Entwicklung, bereits gezielte Aussagen über Coburg machen, ohne überhaupt ein Buch zu lesen oder ein Archiv aufzusuchen. Derartiges Wissen spiegelt die Geschichtstheorie wieder, das man im Universitätsstudium vermittelt bekommt.
Zweitens geht es bei dieser Forschung nicht um eine ereignisgeschichtliche Aufarbeitung der Zeit. Dafür braucht man keine Kommission. Diese Fakten liegen auf der Hand. Es geht um eine andere modernere geschichtstheoretische Herangehensweise, nämlich die Sache strukturgeschichtlich aufzuarbeiten. Und das haben bisher nur etliche auswärtige und lediglich ein Coburger Historiker gemacht. Dabei geht es auch um die Kontextualisierung von Ereignissen, Wirkungsweisen von Personen und Entwicklungen. Ein Beispiel hierzu wäre: Wie sah die politische Entwicklung in anderen kleinen Residenzstädten (Weimar, Altenburg, Detmold, Bückeburg etc.) aus. Unterscheidet sich die Entwicklung in Coburg dazu. Oder sind ähnliche Entwicklungen zu erkennen? Diesbezüglich müssen sich auch Coburger Historiker und Autoren in diese Themen einlesen.
Drittens muss diese Arbeit, da sie strukturgeschichtlich begründet ist, eine Hauptthese und einige Leitfragen haben. Danach richtet sich die Suche nach Informationen in Bücher und Quellen. Einfach zu sagen, schreiben sie was über die Coburger Juden. Arbeiten die ohne Thesen, Leitfragen und methodischer Reflexion konzipiert sind, liefern oftmals ein faktenlastiges Nacheinander von Ereignissen. Aber das allein ist keine Wissenschaft. Gerade in dieser Herangehensweise gibt es in Coburg Defizite.
Die Geschichte mit den Kosten sehe ich ähnlich. Das empfinde ich auch als eine Nebelkerze, die allerdings von Personen ins Feld geführt wird, die etwas gegen die Aufarbeitung dieser Zeit haben und es fürchten, dass es ernst wird, wie übrigens auch in den 2000er Jahren.
Das leuchtet natürlich ein Christian, das ist ein Argument.
Da hab ich folgenden Vorschlag: Machen sie das doch, bewerben Sie sich um die Stelle. Sie wissen, wie man so etwas macht und worauf man achten muss. Machen sie aber einen Pauschalfestpreis für sagen wir 50000 Euro. Das dürfte ihren Aufwand für diese Arbeit decken. Damit wäre das Ziel in ein paar Jahren erreicht und man hätte 200000 Euro gespart, die man für soziale Zwecke einsetzen könnnte. Zahlreiche bedürftige Familien und Institutionen würden es ihnen danken. Sie würden dann außerdem der SPD-Regierung in Coburg mal zeigen, wie man Geld spart bzw. anders sinnvoll einsetzen kann.
Dann schließen wir mal die Sache ab. Vielen Dank Albert77 für ihr Vertrauen. Durchaus ist das eine reizvolle Aufgabe für einen Historiker, die auch zu bewerkstelligen ist. Allerdings werden wir doch nicht zusammen kommen, denn für das was sie da vorschlagen, brauchen sie einen Politiker und keinen Historiker. Zumal halte ich es für wenig sinnvoll, diese Untersuchung für politische Zwecke zu benutzen. Das tut der Untersuchung und das der Politik nicht gut. Ich stehe hier für eine strikte Trennung und eine fokussierte Ausrichtung auf die Forschung.